"Tatü, tata... die Feuerwehr ist da" Brandschutzspiel der Firma SPIKA |
Belehrungen sind damals wie heute wichtig. Ich finde es gut, wenn meine Kinder in Kindergarten und Schule auf gefährliche Situationen vorbereitet werden. Belehrungen in der DDR aber waren anders: gründlicher, energischer und vor allem häufiger. Sie durchdrangen uns bis in die Spitzen unserer Finger, wenn diese mit größter Umsicht ein Streichholz entzündeten, und bis in die Zehenspitzen, die sich beim Kopfsprung verkrampft um den Startblock klammerten. Von den obligatorischen Arbeitsschutzbelehrungen im Werkunterricht ganz abgesehen. Ob sie mehr Unfälle als heute verhinderten, weiß ich nicht. Aber ich weiß noch, wie die Belehrungen klangen, denn die Texte kannten wir bald auswendig.
Regelmäßig einmal im Monat widmete unsere Klassenlehrerin Frau Rose eine halbe Stunde ihres Unterrichts den Belehrungen. Damit wir vor allen erdenklichen Gefahren der Umwelt gewarnt und auf sie vorbereitet waren und sie ein Kreuz an entsprechender Stelle im Klassenbuch machen konnte. Unsere Klassenlehrerin stellte Fragen und als Erstklässler meldeten wir uns eifrig, wenn wir die Antworten wussten. Je älter wir wurden, desto seltener meldeten wir uns und die Belehrungen wurden zu einem Monolog, der jedoch immer wieder eine willkommene Unterrichtsunterbrechung darstellte.
In der dritten Klasse hatten wir allen möglichen Gefahren schon vielfach imaginär ins Auge geblickt. Dennoch: wir konnten nicht oft genug über Gefahrensituationen im täglichen Leben sprechen. Pünktlich am ersten Montag im Monat kündigte Frau Rose an: „Heute wollen wir über den gewissenhaften Umgang mit Feuer sprechen.“ Wir hatten Mathe und waren begeistert. Das leidige Bankrechnen entfiel: heute kein Kopfrechnen um die Wette, bei der erfahrungsgemäß Claudia das Ergebnis als Schnellste brüllte und unaufhaltsam von Tischreihe zu Tischreihe rückte, sondern stattdessen Entspannen und mit möglichst vielen Einwürfen Zeit schinden.
Wichtigstes Thema der Belehrungen war der Brandschutz und der sichere Umgang mit offenem Feuer. Frau Rose erinnerte uns daran, dass wir nicht mit Streichhölzern spielen, nach dem Anheizen des Ofens stets die Ofentür schließen, vor den Ofen ein Blech legen und zum Kohlen holen aus dem Keller eine Taschenlampe statt einer tropfenden Kerze benutzen sollten. Der Text der Belehrungen wirkte überholt: 1980 hatten meine Klassenkameraden bereits elektrisches Licht in ihren Kellern und benutzten weder Taschenlampe noch Kerze. Höchstens bei Stromausfall. Wir hatten zu Hause keinen Keller. Ich holte die Kohlen aus dem Schuppen, schüttete sie pflichtbewusst in den Ofen unserer Zentralheizung in der Küche und fühlte mich groß und verantwortungsvoll, denn immerhin sorgte ich für ein warmes Haus, wenn meine Mutter am Abend mit meinen Geschwistern heim kam.
Sobald sich die ersten Sonnenstrahlen zeigten, wurde in den Belehrungen das Thema Waldbrand aufgegriffen. Frau Rose ermahnte uns, im Wald keine Glasscherben liegen zu lassen. Diese würden bei Sonneneinfall als Brennglas wirken, das trockene Gras entzünden und die Tiere des Waldes in Gefahr bringen. Wir wollten die Rehe und Hasen schützen, denen auf roten Warnschildern der lodernde Feuerteufel drohte, und niemals im Wald Cola Flaschen liegenlassen oder ein offenes Feuer entzünden. Zügelnde Flammen würden wir mit einer Wolldecke ersticken. Woher die im Wald nehmen, war mir unklar. Aber vielleicht stand ja eine Feuerlöschgerätetafel in der Nähe. Neben einer Branddecke hingen daran auch Hacke, Schaufel, Eimer, Feuerpatsche und Einreißhaken, deren phantasievolle Einsatzmöglichkeiten wir umfänglich diskutierten. Dann schärfte Frau Rose uns ein, wen wir im Ernstfall benachrichtigen sollten, nämlich den Förster oder den zuständigen ABV. Letzterer war der Abschnittsbevollmächtigte, ein offenbar wichtiger Mann im Wohngebiet. Als Streifenpolizist führte er Aufsicht über die Bewohner „seines“ Abschnitts und reichte seine Beobachtungen an übergeordnete Beobachtungsbehörden weiter. Ich hatte keine Ahnung, wer unser ABV war und hätte ihn im Ernstfall vermutlich übergangen.
„Wer weiß, wie wir uns bei Feueralarm verhalten müssen?“, fragte Frau Rose bedeutungsvoll. Unsere Arme schnellten in die Höhe, fünf Minuten der Mathestunde konnten wir hier herausschlagen. Theoretisch war alles klar. Praktisch liefen unsere Feueralarmübungen stürmischer ab. Unsere Schulklingel schrillte, wir Schüler stürmten die Treppen hinunter, versammelten uns in Klassenblocks auf dem Schulhof und riefen durcheinander. Nach zwanzig Minuten saßen wir wieder halbwegs friedlich in unseren Bankreihen – pünktlich zum Klingelzeichen für die Mittagspause.
Das stets aktuelle Thema Brandschutz griff auch die Spielwarenindustrie auf. Das SPIKA Spielewerk Karl-Marx-Stadt entwickelte „Tatü-tata… die Feuerwehr ist da – ein Brandschutz-Würfelspiel für die Jugend“. Die Spielanleitung erklärte die Ereignisse der einzelnen Felder: Blau umrandete Spielfelder kennzeichnen gute Taten und lassen Mitspieler vorrücken. Auf rotumrandeten Feldern, die unachtsames Verhalten signalisieren, müssen Mitspieler aussetzen oder von vorn beginnen. Michael auf Feld 33 holt für eine Rentnerin regelmäßig die Kohlen aus dem Keller und benutzt zur Beleuchtung stets die Taschenlampe. Eine gute Tat, die ihn auf Feld 60 vorrücken lässt. Jürgen von Feld 51 gehört der Arbeitsgemeinschaft der jungen Brandschutzhelfer an und „arbeitet damit als Pionier im Auftrag der Feuerwehr“. Er darf acht Felder vorrücken. Udo dagegen bügelt auf Feld 13 „schnell noch sein Halstuch, vergisst danach das Bügeleisen abzuschalten und denkt erst in der Schule daran“. Er muss zurück auf Feld 7. Ziel ist die Feuerwache. Der Sieger gewinnt nicht nur das Spiel, sondern laut Spielanleitung „auch die Erkenntnis, dass leichtfertiger Umgang mit Feuer, Streichhölzern und Licht in Händen von unaufgeklärten Kindern eine sehr große Gefahr ist, die auf jeden Fall vermieden werden muss“. Weiter lesen wir, dass „die Feuerwehrleute bei der Bekämpfung der Brände oft ihr Leben auf’s Spiel setzen, um unser Volkseigentum vor Schaden zu bewahren.“ Wir spielen Tatü-tata auch heute noch mit Begeisterung, nur das mit dem Halstuch bügeln und Kohlen holen muss ich meinen Kindern erklären.
Als nächstes Thema stand der Umgang mit Strom auf dem Belehrungsplan. Wir wussten, was kam, und feixten. Frau Rose erinnerte uns mit Nachdruck daran, dass wir keine Scheren, Schraubenzieher oder Gabeln in Steckdosen stecken sollten. Was dann passiere, sei ja wohl allen klar, sagte sie mit finsterer Miene. Wir kicherten hinter vorgehaltener Hand, denn allen Warnungen vor Stromschlägen zum Trotz fand sich in jedem Schuljahr ein Freiwilliger, der eine Bastelschere in die dafür wie geschaffen scheinenden Öffnungen einer Schuko-Dose steckte. Erst vergangene Woche hatte René auf diese Weise die Eigenschaften von Strom untersucht. „Oh Mann“, hatte er benommen gehaucht, nachdem der Strom ihn wie einen Tischtennisball im Plattenkondensator weggeschleudert hatte. René hatte Glück, die Schere einen Plastegriff und er kam mit leichtem Schlag und größerem Schreck davon. Was ihm passiert war, mahnte Frau Rose, solle uns allen eine Lehre sein. Wir konnten uns das Lachen nicht mehr verkneifen und prusteten los. So was Dummes konnte nur René passieren.
Der Winter stand vor der Tür. Da zogen sich die Belehrungen in die Länge, zum Bedauern unserer Lehrerin, denn zum Verhalten bei Eis und Schnee und dem Betreten von Eisflächen brachten wir alle enthusiastisch unsere eigenen Erfahrungen ein, was die Mathestunde erheblich verkürzte. Mit Eisflächen kannten wir Dorfkinder uns aus. Frau Rose warnte davor, keine Eisflächen zu betreten, bevor sie nicht von der Feuerwehr freigegeben worden waren. In unserem Dorf schien die Feuerwehr nicht zu wissen, dass das Prüfen der Eisstärke zugefrorener Teiche zu ihren Aufgaben gehörte. Wir sahen nie einen Feuerwehrmann auf dem Eis. Stattdessen prüften wir Kinder die Eisdecke selbst, indem wir mit einer Axt ein Loch hinein hackten. Für haltbar befunden, schnürten wir unsere Germina Schlittschuhe fest oder, falls der Weihnachtsmann keine gebracht oder die große Schwester keine vererbt hatte, Gleitschuhe unter die Sohlen. Wir übten Pirouetten und spielten Eishockey, wobei unsere Schuhe die Pfosten markierten. Kinder ohne Kufen standen im Tor. Die Kleinsten stolperten in Stiefeln über das Eis und zogen Schlitten. Die Dorfjugend stand lässig rauchend am Teichrand und drehte ab und zu eine Runde, um das Einfrieren ihrer Zehen zu verhindern. Wir liefen, bis es dämmerte und die Straßenlaternen leuchteten. Auch die Wiesen boten zahlreiche Überschwemmungen, auf denen wir Eishockey spielten, sobald das Eis trug und uns die Teiche noch zu unsicher schienen, denn falls wir doch einbrachen, sackten wir nur bis zu den Knien weg und liefen nach Hause zu Wärmflasche und heißem Kakao.
Geduldig hörten wir Frau Rose bei ihren alljährlichen Ermahnungen zu, nicht an befahrenen Straßen zu rodeln, morgens Schnee auf den Gehwegen vor unseren Häusern zu fegen, als hilfsbereite Pioniere ältere Mitbürger auf glatten Flächen zu stützen und nicht mit Schneebällen auf Menschen und Fahrzeuge zu zielen. Sie schien zu fürchten, dass unsere Schneebälle hart wir Eis würden, wenn wir sie nur lange genug formten, und die Schneeballschlachten auf dem Schulhof sodann ihren Tribut in Form von Beulen und Platzwunden fordern würden. Das klang vielleicht übertrieben, aber sicher war sicher.
Im Sommer änderte sich wetterbedingt der Inhalt der Belehrungen und wir prägten uns ein, dass wir nicht mit einem Kopfsprung in uns unbekannte Gewässer eintauchen durften, was vor allem für uns Ostseekinder für die Buhnen am Strand galt. Man konnte schließlich nie wissen, ob die letzte sichtbare Buhne im Wasser tatsächlich die letzte war oder dahinter noch abgebrochene Buhnenstummel im Grund steckten. In den Ferien beobachteten wir kopfschüttelnd tollkühne Helden, die den Sprung von der letzten Buhne ins Meer wagten. „Sind die denn lebensmüde?“, fragten wir uns. Wohl nur, weil sie aus Sachsen oder Thüringen kamen und es dort aufgrund nicht vorhandener Meere höchstwahrscheinlich auch keine Belehrungen über Buhnen gab.
Nicht fehlen durfte das Thema Umgang mit Fundmunition. Schilder mit der Aufschrift „Hände weg von Fundmunition“ hatten wir schon oft am Wald- oder Stadtrand gefunden, Fundmunition selber bislang noch nicht. Die „Regeln für das Verhalten beim Auffinden von Blindgängern bzw. nichtdetonierter Munition und Streuminen“, wie es in der Fachliteratur hieß, konnten wir bald auswendig. Zunächst mussten wir den Fund sofort den Dienststellen der Volkspolizei melden, dann den Fundort absperren, Fundmunition dabei aber keinesfalls berühren oder bewegen. Schließlich mussten wir die im Sperrkreis befindliche Bevölkerung warnen, Weisungen der Beräumungskräfte befolgen und den Sperrkreis in sicherer Deckung verlassen. Ich wäre einfach weggerannt. Nun wusste ich es besser.
Abschließend kam Frau Rose zum Verhalten im Straßenverkehr. Und fasste sich kurz. Sie wollte wohl die Belehrungen verkürzen und zum Rechnen übergehen. „Da uns beim nächsten Pioniernachmittag ein Genosse der Volkspolizei besucht, wiederholen wir nur die wichtigsten Regeln“, erklärte sie. Wie enttäuschend. Nun würden wir doch noch Aufgaben lösen müssen. Wir versprachen, die Straße bei Fußgängerampeln und Zebrastreifen zu überqueren, bei Dämmerung unsere Fahrradbeleuchtung einzuschalten und älteren Mitbürgern über die Straße zu helfen, ihnen unseren Fensterplatz in der Straßenbahn zu überlassen und ihre Einkaufsbeutel zu schleppen. Mehr fiel uns nicht ein und wir ergaben uns dem Bankrechnen.
Heute sind die Belehrungen in der Schule knapper. Das ist kein Schaden. Ich weiß, dass meine Kinder auch ohne Halstuch und Pionierausweis hilfsbereit sind und mein dreijähriger Sohn ohne monatlich erschöpfende Ansprachen Kerzen nur unter Aufsicht anzündet. Heute sind auch wir Eltern gefragt, wenn es um den Schutz unserer Kinder geht. Aber diese Verantwortung übernehme ich gern, wenn das Einmaleins in der Schule geübt wird.
Hallo Herr Susemihl die Feuerwehr Werder sucht die Spielanleitung von diesem schönen Spiel können sie uns helfen? ff-werder[a]gmx.de auch als Word oder Pdf Danke.
AntwortenLöschenLeider fallen die Belehrungen so knapp aus wir würden uns wünschen das sie besser wären.