Dienstag, 13. Mai 2014

Show mal her! Das letzte Pfingsttreffen der FDJ 1989


Eindrucksvolle Sport- und Massenveranstaltungen mit Tausenden Statisten erfreuten sich stets besonderer Beliebtheit bei den Zuschauern und der Parteileitung in der DDR. Insbesondere die FDJ war aktiv um die Organisation von Großveranstaltungen bemüht, und Funktionäre (die damals ehrenamtlichen „Eventmanager“) gestalteten nationale Jugendfestivals, Fackelzüge, Freundschaftstreffen und Sportfeste. Die traditionellen, beinahe legendären Pfingstreffen waren eines ihrer Aushängeschilder. Alle fünf Jahre kamen zehntausende Jugendliche als Delegierte der FDJ in einer anderen Großstadt zusammen und feierten ihr Land und ein bisschen auch sich selbst. Das letzte Pfingsttreffen fand vom 12. bis 15. Mai 1989 in Berlin statt – im gleichen Jahr, in dem die DDR am 7. Oktober ihren 40. Jahrestag beging und am 9. November ihre Grenzen öffnete und damit das Abtreten von der Weltbühne einleitete.

Das Pfingstreffen war ein monströses Treffen, und Staat und FDJ scheuten weder Kosten, noch Mühen für ihre Beweihräucherung. Doch der Staatshaushalt war belastet und so bat die FDJ den FDGB (den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund) um Kostenbeteiligung. Dieser stellte 100 Millionen Mark aus dem zentralen Solidaritätsfonds zur Verfügung, von dem die Hälfte in das Pfingsttreffen floss. (Über die Verwendung der übrigen 50 Millionen Mark werde der Zentralrat mi[1] Auch Betriebe leisteten ihren Beitrag. Das Bekleidungshaus Falkensee spendierte „1000 Stirnbänder in fröhlichen Farben“ und der VEB Landmaschinenbau Falkensee fertigte gratis Wäschetrockner und Grills für einen Solidaritätsbasar, wie die Märkische Allgemeine Zeitung berichtete.
t dem FDGB beraten, hieß es später.) Die FDJ dankte dem FDGB öffentlich und herzlich und ohne Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bereitstellung der Mittel.

Dass es im Vorfeld Probleme gegeben hatte, die Teilnehmer unter den Jugendlichen überhaupt zu mobilisieren, erfuhren die meisten Mitwirkenden nicht. Studenten der Hochschule für Bildende Künste in Dresden und die dortige FDJ-Leitung hatten es sogar abgelehnt, am Pfingsttreffen teilzunehmen – ein Verhalten, das es bislang in der Geschichte der FDJ noch nicht gegeben hatte und für Wirbel sorgte, der aber sorgsam verschwiegen wurde. In den Reihen der Partei und in der Bevölkerung bröckelte es bereits. Die Zeitung Junge Welt, das Zentralorgan der FDJ, allerdings sprach im Mai 1989 von 75.000 Teilnehmern, die angereist waren. Auch wenn dies nur ein schwacher Nachhall der großen „Deutschlandtreffen“ der FDJ der 50er Jahren war, als die DDR-Führung noch gesamtdeutsch missionieren wollte, so war es doch für mich eine eindrucksvolle Veranstaltung.

Ich war damals sechszehn, und die Welt war groß. Und nun stand ein klitzekleiner Teil der Welt offen, ein Teil unserer Hauptstand Berlin, genau genommen nur ein Teil von Ostberlin, aber immerhin ein Teil der Welt, der über meine Alltagswelt hinaus ging. Ich würde eine Woche schulfrei haben, denn die Mitwirkenden reisten früher an, und würde mit meinem Tanzclub bei der Stadionrevue „Show mal her“ auftreten – einem Höhepunkt des Treffens, vor den Großen der Regierung und vor Stars und Sternchen der DDR, mit Liveübertragung im Fernsehen. Sportclubs, Musiker und Akrobaten sollten ihr Können im „Stadion der Weltjugend“ präsentieren.

Bereits Wochen vorher hatten wir mit den Proben begonnen, hatten die zentral aus Berlin kommende Choreographie für Cha-Cha-Cha und Jive einstudiert, gemeinsam mit andere Tanzklubs an den Wochenenden trainiert und im Trainingslager in Berlin die Gesamtwirkung probiert – so wie hunderte andere Turniertänzer im Land. Es sollte spritzig und schnell sein, Lebensfreude und Frohsinn ausstrahlen.

Wir reisten mit einem Barkas aus Rostock an und waren enttäuscht über die Unterbringung in einem Kinderferienlager, eine Stunde außerhalb des Zentrums. Abends nochmal losziehen fiel aus. Und morgens hieß es früh aufstehen, um pünktlich zu den Proben im Stadion zu sein. Abends erhielten wir Essenmarken und einen Verpflegungsbeutel für den kommenden Tag, mit Knäckebrot, Schmalz- und Margarinewürfeln und Dosenwurst nebst klitzekleinem Dosenöffner, mit dem nur der handwerklich Geschickte seine Dosenration aufbekam. Tage später fanden sich die Würfel in den Mülleimern, während wir die Essenmarken beliebig in Restaurants einlösten und uns very important fühlten.

Mit einem Sonderbus fuhren wir morgens zum Stadion. Nebenan existierte seit 1923 der U-Bahnhof Schwartzkopffstraße (benannt nach Louis Schwartzkopff, dessen Werkhallen um 1880 als Zentrum des deutschen Dampflokomotivbaus galten), der jedoch nach dem Mauerbau 1961 stillgelegt worden war. Auf Befehl des damaligen Innenministers der DDR, Karl Maron, waren alle Bahnhöfe der Linie 6 auf Ost-Berliner Gebiet (mit Ausnahme des Bahnhofs Friedrichstraße) für den Personenverkehr geschlossen worden. Der im April 1951 nach dem neu erbauten Walter-Ulbricht-Stadion umbenannte Bahnhof wurde zu einem Geisterbahnhof. Dennoch ließ es sich die Berliner Obrigkeit nicht nehmen, den verwaisten Bahnhof 1973 mit Umbenennung des Stadions ebenfalls in „Stadion der Weltjugend“ umzutaufen, was freilich nur für vorbeifahrende West-Berliner U-Bahn-Fahrgäste sichtbar war, denn auf DDR-Stadtplänen waren die Geisterbahnhöfe nicht verzeichnet.

Das „Stadion der Weltjugend“ war eines der größten Leichtathletik- und Fußballstadien der DDR – 1950 in der Chausseestraße, auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne mit einer Kapazität von 70.000 Stehplätzen erbaut, die Tribünen mit dem Schutt des gerade gesprengten Berliner Stadtschlosses aufgeschüttet und zunächst benannt nach dem ersten Generalsekretär der SED, Walter Ulbricht. Dessen Barttracht verhalf dem Stadion auch zum Beinamen „Zickenwiese“. Anlässlich der X. Weltfestspiele 1973 (noch zu Lebzeiten des zwei Jahre zuvor entmachteten Ulbricht) wurde das Stadion umgebaut und umbenannt. Hier wurden das alljährliche Endspiel des FDGB-Pokals und internationale Leichtathletik-Wettbewerbe ausgetragen, hier trafen sich Menschen aus aller Welt, hier wehte westlicher Wind, hier schaute man über den eigenen Tellerrand hinweg. Ja, so musste sich das anfühlen, die große weite Welt. Hier roch es anders – nach Großstadt und ein ganz kleines bisschen nach Freiheit.

Auf dem Gelände waren Zelte aufgebaut, die Rasenfläche war mit Hartfaserplatten ausgelegt. Wir probten Einmarsch, Tänze, Figuren. Nach unserem Auftritt fuhr Schlagerstern Wolfgang Ziegler in die Arena und sang seinen Hit „Verdammt und dann stehst du im Regen“. Der Titel lief auf Abschlussbällen hoch und runter, weil man dazu hervorragend Disco-Fox tanzen konnte. Nach unserem Auftritt sollten sich alle Tänzer im Stadion um den Star scharen und ihm zujubeln, klatschen und mittanzen, doch irgendwie wollte kaum einer auf Befehl klatschen oder jubeln, egal zu welchem Titel. Außerdem war es ermüdend, nach dem vierten Einfahren der Bühne noch immer zu klatschen. „Das proben wir gleich nochmal“, klang es angespannt aus den Lautsprechern, „Aber jetzt richtig mit Pepp.“ Und ein frustriertes, leises Fluchen der Organisatoren war nicht zu überhören.

Abends saßen wir erschöpft, aber in Feierlaune hinter der Lagerbaracke unter dem Nachthimmel, diskutierten und philosophierten über anstehende Abschlussprüfungen, Zukunftsträume und Sehnsüchte, tranken Wein und eine Zigarette machte die Runde. „Willst du? Ist ´ne Club, mit Filter“, ermunterte mich Sven. Ich konnte trotz des höheren Preises für diese Marke dem rauchigen Geschmack einer Zigarette nichts abgewinnen und spülte ihn mit einem Schluck Rosenthaler Kadarka herunter. Sven reichte weiter an Anja und Patrizia.  

Als Mitwirkende hatte man neben der Schulabwesenheit und dem Fahrtausweis für öffentlichen Verkehrsmittel noch einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber den Delegierten: man musste nicht an den Demonstrationen und Umzügen teilnehmen. Die Delegierten – ausgezeichnete Jugendliche der Schulen und Betriebe – wurden in Sonderzügen aus der ganzen Republik in die Hauptstadt gekarrt und in Schulen und Privatquartieren untergebracht. Das war keine leichte Übung. Auch wenn die Zeitungen schon Wochen vorher ankündigten, dass wieder „Quartierswerber“ unterwegs waren, um für das Pfingstreffen private Schlafstätten zu organisieren, meldeten sich immer weniger Leute und das Plansoll von 100.000 Betten wurde schon lange nicht mehr erreicht. (1984 wurden immerhin 70.000 Privatquartiere vermittelt.) So ein Quartier bestand aus einer Grundfläche von zwei Quadratmetern in Wohnzimmer oder Flur; für Matratzen und Decken sorgte die FDJ. Viele fuhren auch privat nach Berlin, was den Vorteil hatte, dass sie nicht an den „Aufmärschen“ teilnehmen mussten, aber Konzerte und die Disco im Palast der Republik miterleben konnten.

Berlin erlebte an diesen Tagen einen inländischen Besuchersturm ohne gleichen. Rund um Alex, Palast der Republik und Unter den Linden standen Verkaufsstände, Musik dröhnte aus Lautsprechern und Menschen schoben sich dichtgedrängt durch die Straßen. Auf der Karl-Marx-Allee marschierten die Jugendlichen, von FDJ-Sekretären zum Jubeln, Singen und Fahnen schwenken motiviert, vorbei an der Tribüne mit Erich Honecker und Vertretern von Partei und Staat, die freizügig Auszeichnungen und Orden an Jugendkollektive vergaben. So durfte sich die Jugendbrigade „Wostock I“ des Plastverarbeitungswerkes Staaken fortan „Hervorragendes Jugendkollektiv“ nennen, und die Jugend Welt konstatierte am 16. Mai 1989 „Die Karl-Marx-Allee im Blauhemd: 40 Jahre und kein bisschen leiser“.

Bands spielten auf den Bühnen. Man munkelte, dass sogar „Die Art“ auftreten sollte, eine Kultband in der DDR. Ich hatte eine Kassette von ihnen, von einem Freund auf meinem Kassettenrekorder überspielt. Eigentlich mochte ich die Musik nicht wirklich, aber sie war angesagt und cool, systemkritisch und underground. Die Mitte der 80er Jahre um Holger Oley gegründete Band sang sich mit verbotenen Texten von Industriestaub über den Städten, Schaum auf der Saale und Hautkranken in den Polikliniken den Frust von der Seele und entzog sich der vorgegebenen Einstufung durch das Bezirkskabinett für Kulturarbeit. Eine Independent-Szene war erblüht, die das Konzertgeschehen auch ohne Konzert- und Gastspieldirektion florieren ließ, und eine rebellische Jugend, die sich wenig um Sozialismus scherte, wurde immer lauter.

Ein Hauch von Woodstock, Flower Power, Liebe und Freiheit lag in der Luft, nicht mit Batik-Gewändern und Jesuslatschen, sondern Blauhemd und FDJ-Abzeichen. Freundschaft wurde ernst genommen – in jeder Hinsicht. So suchte Viola zwanzig Jahre später auf www.wobistdu.com den Vater ihrer Tochter Julia. Sie war stomatologische Schwester und als medizinische Betreuung für eine Jugendgruppe aus Pirna zum Pfingsttreffen eigesetzt worden, wo sie den Betreuer „ihrer“ Gruppe, den „dunkelhaarigen und schnuckeligen“ Steffen kennenlernte. Genauso schnell wie er eintrat, trat er auch wieder heraus aus dem Leben der verheirateten Frau. Freundschaft war am Ende vielleicht doch nur ein Wort, gebrummt auf Fahnenapellen und Kundgebungen.

Unsere Shows (zwei an der Zahl) liefen reibungslos. Die Bühnenbilder waren kolossal, die Sonne strahlte, Erich Honecker und Egon Krenz winkten von der Ehrentribüne, Sportler zeigten rhythmische Sportgymnastik, Übungen mit Reifen und Bällen, farbenfroh und ausgelassen, aber diszipliniert. Mit dabei auch das Zentrale Musikkorps der FDJ und der Pionierorganisation Ernst Thälmann (ZMK) und das Zentrale Pioniertanzensemble der FDJ (ZPTE). Hunderte Kinder und Jugendliche waren Mitglieder in diesem Ensemble, und vielfach war ihr Ruf „7, 8, 9, 10 – Klasse“  in den Stadien der Republik, der UdSSR, Polens und sogar Algeriens ertönt. Im Mai ahnte niemand von ihnen, das dies ihr letzter großer Auftritt sein würde; mit der Wende kam das Ende für das 1973 gegründete Tanzensemble.

Fünfundzwanzig Jahre später – der Rauch des Abschiedsfeuerwerks ist längst verraucht und die Musik der Bands verklungen – ist Wolfgangs Zieglers Hit als Remix auf youtube zu finden, das Tanzensemble hat sein zweites Wiedersehenstreffen begangen und die U-Bahn hält wieder in der Schwartzkopffstraße. Dennoch erinnert nur noch wenig an das Pfingsttreffen von 1989, wo sich abseits ideologischer Rahmenbedingungen auch viel Menschlichkeit abspielte – „Show mal her!“    




[1] Der Beschluss des FDGB-Präsidiums sei dem FDJ-Zentralrat im September 1988 mitgeteilt worden, erklärte der Pressesprecher des Zentralrats der FDJ, Andreas Dywicki, gegenüber ADN, wie die Berliner Zeitung vom 29.11.1989 berichtete. DDR 1989, http://www.ddr89.de/ddr89/chronik/1189/281189.html.
 

Freitag, 9. August 2013

Von Brandschutzhelfern und Feuerlöschgerätetafeln

"Tatü, tata... die Feuerwehr ist da" Brandschutzspiel der Firma SPIKA
Kürzlich kam meine sechsjährige Tochter aufgeregt aus der Schule und berichtete von ihrer ersten Feueralarmübung. Alle Kinder müssten ohne Jacken – „Sogar im Winter, Mama, stell Dir das mal vor!“ –  in einer Reihe nach draußen gehen, sich auf dem Schulhof aufstellen und auf weitere Anweisungen der Lehrerin warten. Im Schulgebäude müssten sich alle ganz ruhig verhalten und dürften nicht laufen. Ich hörte ihr aufmerksam zu und stellte interessiert Fragen: „Tatsächlich? Gab es ein großes Durcheinander?“ Sie verneinte lachend. „Nur Simon wusste nicht, wohin er gehen sollte und lief in die falsche Richtung.“

Belehrungen sind damals wie heute wichtig. Ich finde es gut, wenn meine Kinder in Kindergarten und Schule auf gefährliche Situationen vorbereitet werden. Belehrungen in der DDR aber waren anders: gründlicher, energischer und vor allem häufiger. Sie durchdrangen uns bis in die Spitzen unserer Finger, wenn diese mit größter Umsicht ein Streichholz entzündeten, und bis in die Zehenspitzen, die sich beim Kopfsprung verkrampft um den Startblock klammerten. Von den obligatorischen Arbeitsschutzbelehrungen im Werkunterricht ganz abgesehen. Ob sie mehr Unfälle als heute verhinderten, weiß ich nicht. Aber ich weiß noch, wie die Belehrungen klangen, denn die Texte kannten wir bald auswendig.

Regelmäßig einmal im Monat widmete unsere Klassenlehrerin Frau Rose eine halbe Stunde ihres Unterrichts den Belehrungen. Damit wir vor allen erdenklichen Gefahren der Umwelt gewarnt und auf sie vorbereitet waren und sie ein Kreuz an entsprechender Stelle im Klassenbuch machen konnte. Unsere Klassenlehrerin stellte Fragen und als Erstklässler meldeten wir uns eifrig, wenn wir die Antworten wussten. Je älter wir wurden, desto seltener meldeten wir uns und die Belehrungen wurden zu einem Monolog, der jedoch immer wieder eine willkommene Unterrichtsunterbrechung darstellte.

In der dritten Klasse hatten wir allen möglichen Gefahren schon vielfach imaginär ins Auge geblickt. Dennoch: wir konnten nicht oft genug über Gefahrensituationen im täglichen Leben sprechen. Pünktlich am ersten Montag im Monat kündigte Frau Rose an: „Heute wollen wir über den gewissenhaften Umgang mit Feuer sprechen.“ Wir hatten Mathe und waren begeistert. Das leidige Bankrechnen entfiel: heute kein Kopfrechnen um die Wette, bei der erfahrungsgemäß Claudia das Ergebnis als Schnellste brüllte und unaufhaltsam von Tischreihe zu Tischreihe rückte, sondern stattdessen Entspannen und mit möglichst vielen Einwürfen Zeit schinden.

Wichtigstes Thema der Belehrungen war der Brandschutz und der sichere Umgang mit offenem Feuer. Frau Rose erinnerte uns daran, dass wir nicht mit Streichhölzern spielen, nach dem Anheizen des Ofens stets die Ofentür schließen, vor den Ofen ein Blech legen und zum Kohlen holen aus dem Keller eine Taschenlampe statt einer tropfenden Kerze benutzen sollten. Der Text der Belehrungen wirkte überholt: 1980 hatten meine Klassenkameraden bereits elektrisches Licht in ihren Kellern und benutzten weder Taschenlampe noch Kerze. Höchstens bei Stromausfall. Wir hatten zu Hause keinen Keller. Ich holte die Kohlen aus dem Schuppen, schüttete sie pflichtbewusst in den Ofen unserer Zentralheizung in der Küche und fühlte mich groß und verantwortungsvoll, denn immerhin sorgte ich für ein warmes Haus, wenn meine Mutter am Abend mit meinen Geschwistern heim kam.

Sobald sich die ersten Sonnenstrahlen zeigten, wurde in den Belehrungen das Thema Waldbrand aufgegriffen. Frau Rose ermahnte uns, im Wald keine Glasscherben liegen zu lassen. Diese würden bei Sonneneinfall als Brennglas wirken, das trockene Gras entzünden und die Tiere des Waldes in Gefahr bringen. Wir wollten die Rehe und Hasen schützen, denen auf roten Warnschildern der lodernde Feuerteufel drohte, und niemals im Wald Cola Flaschen liegenlassen oder ein offenes Feuer entzünden. Zügelnde Flammen würden wir mit einer Wolldecke ersticken. Woher die im Wald nehmen, war mir unklar. Aber vielleicht stand ja eine Feuerlöschgerätetafel in der Nähe. Neben einer Branddecke hingen daran auch Hacke, Schaufel, Eimer, Feuerpatsche und Einreißhaken, deren phantasievolle Einsatzmöglichkeiten wir umfänglich diskutierten. Dann schärfte Frau Rose uns ein, wen wir im Ernstfall benachrichtigen sollten, nämlich den Förster oder den zuständigen ABV. Letzterer war der Abschnittsbevollmächtigte, ein offenbar wichtiger Mann im Wohngebiet. Als Streifenpolizist führte er Aufsicht über die Bewohner „seines“ Abschnitts und reichte seine Beobachtungen an übergeordnete Beobachtungsbehörden weiter. Ich hatte keine Ahnung, wer unser ABV war und hätte ihn im Ernstfall vermutlich übergangen.

„Wer weiß, wie wir uns bei Feueralarm verhalten müssen?“, fragte Frau Rose bedeutungsvoll. Unsere Arme schnellten in die Höhe, fünf Minuten der Mathestunde konnten wir hier herausschlagen. Theoretisch war alles klar. Praktisch liefen unsere Feueralarmübungen stürmischer ab. Unsere Schulklingel schrillte, wir Schüler stürmten die Treppen hinunter, versammelten uns in Klassenblocks auf dem Schulhof und riefen durcheinander. Nach zwanzig Minuten saßen wir wieder halbwegs friedlich in unseren Bankreihen – pünktlich zum Klingelzeichen für die Mittagspause.

Das stets aktuelle Thema Brandschutz griff auch die Spielwarenindustrie auf. Das SPIKA Spielewerk Karl-Marx-Stadt entwickelte „Tatü-tata… die Feuerwehr ist da – ein Brandschutz-Würfelspiel für die Jugend“. Die Spielanleitung erklärte die Ereignisse der einzelnen Felder: Blau umrandete Spielfelder kennzeichnen gute Taten und lassen Mitspieler vorrücken. Auf rotumrandeten Feldern, die unachtsames Verhalten signalisieren, müssen Mitspieler aussetzen oder von vorn beginnen. Michael auf Feld 33 holt für eine Rentnerin regelmäßig die Kohlen aus dem Keller und benutzt zur Beleuchtung stets die Taschenlampe. Eine gute Tat, die ihn auf Feld 60 vorrücken lässt. Jürgen von Feld 51 gehört der Arbeitsgemeinschaft der jungen Brandschutzhelfer an und „arbeitet damit als Pionier im Auftrag der Feuerwehr“. Er darf acht Felder vorrücken. Udo dagegen bügelt auf Feld 13 „schnell noch sein Halstuch, vergisst danach das Bügeleisen abzuschalten und denkt erst in der Schule daran“. Er muss zurück auf Feld 7. Ziel ist die Feuerwache. Der Sieger gewinnt nicht nur das Spiel, sondern laut Spielanleitung „auch die Erkenntnis, dass leichtfertiger Umgang mit Feuer, Streichhölzern und Licht in Händen von unaufgeklärten Kindern eine sehr große Gefahr ist, die auf jeden Fall vermieden werden muss“. Weiter lesen wir, dass „die Feuerwehrleute bei der Bekämpfung der Brände oft ihr Leben auf’s Spiel setzen, um unser Volkseigentum vor Schaden zu bewahren.“ Wir spielen Tatü-tata auch heute noch mit Begeisterung, nur das mit dem Halstuch bügeln und Kohlen holen muss ich meinen Kindern erklären.

Als nächstes Thema stand der Umgang mit Strom auf dem Belehrungsplan. Wir wussten, was kam, und feixten. Frau Rose erinnerte uns mit Nachdruck daran, dass wir keine Scheren, Schraubenzieher oder Gabeln in Steckdosen stecken sollten. Was dann passiere, sei ja wohl allen klar, sagte sie mit finsterer Miene. Wir kicherten hinter vorgehaltener Hand, denn allen Warnungen vor Stromschlägen zum Trotz fand sich in jedem Schuljahr ein Freiwilliger, der eine Bastelschere in die dafür wie geschaffen scheinenden Öffnungen einer Schuko-Dose steckte. Erst vergangene Woche hatte René auf diese Weise die Eigenschaften von Strom untersucht. „Oh Mann“, hatte er benommen gehaucht, nachdem der Strom ihn wie einen Tischtennisball im Plattenkondensator weggeschleudert hatte. René hatte Glück, die Schere einen Plastegriff und er kam mit leichtem Schlag und größerem Schreck davon. Was ihm passiert war, mahnte Frau Rose, solle uns allen eine Lehre sein. Wir konnten uns das Lachen nicht mehr verkneifen und prusteten los. So was Dummes konnte nur René passieren.

Der Winter stand vor der Tür. Da zogen sich die Belehrungen in die Länge, zum Bedauern unserer Lehrerin, denn zum Verhalten bei Eis und Schnee und dem Betreten von Eisflächen brachten wir alle enthusiastisch unsere eigenen Erfahrungen ein, was die Mathestunde erheblich verkürzte. Mit Eisflächen kannten wir Dorfkinder uns aus. Frau Rose warnte davor, keine Eisflächen zu betreten, bevor sie nicht von der Feuerwehr freigegeben worden waren. In unserem Dorf schien die Feuerwehr nicht zu wissen, dass das Prüfen der Eisstärke zugefrorener Teiche zu ihren Aufgaben gehörte. Wir sahen nie einen Feuerwehrmann auf dem Eis. Stattdessen prüften wir Kinder die Eisdecke selbst, indem wir mit einer Axt ein Loch hinein hackten. Für haltbar befunden, schnürten wir unsere Germina Schlittschuhe fest oder, falls der Weihnachtsmann keine gebracht oder die große Schwester keine vererbt hatte, Gleitschuhe unter die Sohlen. Wir übten Pirouetten und spielten Eishockey, wobei unsere Schuhe die Pfosten markierten. Kinder ohne Kufen standen im Tor. Die Kleinsten stolperten in Stiefeln über das Eis und zogen Schlitten. Die Dorfjugend stand lässig rauchend am Teichrand und drehte ab und zu eine Runde, um das Einfrieren ihrer Zehen zu verhindern. Wir liefen, bis es dämmerte und die Straßenlaternen leuchteten. Auch die Wiesen boten zahlreiche Überschwemmungen, auf denen wir Eishockey spielten, sobald das Eis trug und uns die Teiche noch zu unsicher schienen, denn falls wir doch einbrachen, sackten wir nur bis zu den Knien weg und liefen nach Hause zu Wärmflasche und heißem Kakao.

Geduldig hörten wir Frau Rose bei ihren alljährlichen Ermahnungen zu, nicht an befahrenen Straßen zu rodeln, morgens Schnee auf den Gehwegen vor unseren Häusern zu fegen, als hilfsbereite Pioniere ältere Mitbürger auf glatten Flächen zu stützen und nicht mit Schneebällen auf Menschen und Fahrzeuge zu zielen. Sie schien zu fürchten, dass unsere Schneebälle hart wir Eis würden, wenn wir sie nur lange genug formten, und die Schneeballschlachten auf dem Schulhof sodann ihren Tribut in Form von Beulen und Platzwunden fordern würden. Das klang vielleicht übertrieben, aber sicher war sicher.

Im Sommer änderte sich wetterbedingt der Inhalt der Belehrungen und wir prägten uns ein, dass wir nicht mit einem Kopfsprung in uns unbekannte Gewässer eintauchen durften, was vor allem für uns Ostseekinder für die Buhnen am Strand galt. Man konnte schließlich nie wissen, ob die letzte sichtbare Buhne im Wasser tatsächlich die letzte war oder dahinter noch abgebrochene Buhnenstummel im Grund steckten. In den Ferien beobachteten wir kopfschüttelnd tollkühne Helden, die den Sprung von der letzten Buhne ins Meer wagten. „Sind die denn lebensmüde?“, fragten wir uns. Wohl nur, weil sie aus Sachsen oder Thüringen kamen und es dort aufgrund nicht vorhandener Meere höchstwahrscheinlich auch keine Belehrungen über Buhnen gab.

Nicht fehlen durfte das Thema Umgang mit Fundmunition. Schilder mit der Aufschrift „Hände weg von Fundmunition“ hatten wir schon oft am Wald- oder Stadtrand gefunden, Fundmunition selber bislang noch nicht. Die „Regeln für das Verhalten beim Auffinden von Blindgängern bzw. nichtdetonierter Munition und Streuminen“, wie es in der Fachliteratur hieß, konnten wir bald auswendig. Zunächst mussten wir den Fund sofort den Dienststellen der Volkspolizei melden, dann den Fundort absperren, Fundmunition dabei aber keinesfalls berühren oder bewegen. Schließlich mussten wir die im Sperrkreis befindliche Bevölkerung warnen, Weisungen der Beräumungskräfte befolgen und den Sperrkreis in sicherer Deckung verlassen. Ich wäre einfach weggerannt. Nun wusste ich es besser.

Abschließend kam Frau Rose zum Verhalten im Straßenverkehr. Und fasste sich kurz. Sie wollte wohl die Belehrungen verkürzen und zum Rechnen übergehen. „Da uns beim nächsten Pioniernachmittag ein Genosse der Volkspolizei besucht, wiederholen wir nur die wichtigsten Regeln“, erklärte sie. Wie enttäuschend. Nun würden wir doch noch Aufgaben lösen müssen. Wir versprachen, die Straße bei Fußgängerampeln und Zebrastreifen zu überqueren, bei Dämmerung unsere Fahrradbeleuchtung einzuschalten und älteren Mitbürgern über die Straße zu helfen, ihnen unseren Fensterplatz in der Straßenbahn zu überlassen und ihre Einkaufsbeutel zu schleppen. Mehr fiel uns nicht ein und wir ergaben uns dem Bankrechnen.

Heute sind die Belehrungen in der Schule knapper. Das ist kein Schaden. Ich weiß, dass meine Kinder auch ohne Halstuch und Pionierausweis hilfsbereit sind und mein dreijähriger Sohn ohne monatlich erschöpfende Ansprachen Kerzen nur unter Aufsicht anzündet. Heute sind auch wir Eltern gefragt, wenn es um den Schutz unserer Kinder geht. Aber diese Verantwortung übernehme ich gern, wenn das Einmaleins in der Schule geübt wird.

Dienstag, 18. Juni 2013

Kleine Diplomaten


Kann man dem Echo trauen? Was darf man ihm erzählen?
Meine Freundin Christine liebte ihren Kindergarten. Sie war vier und konnte es am Wochenende nicht erwarten, am Montagmorgen mit Brottasche und Sportbeutel von ihrer Mutter im gräulich gescheckten Flachbau Bummi abgeliefert zu werden. Pünktlich um halb zwölf holte ihre Mutter sie wieder ab, denn sie war Mittagskind.
 
Christines größter Traum war es, einmal im Kindergarten Mittag zu essen. Gemeinsam mit allen Kindern an den kleinen Tischchen sitzen, die kleinen Händchen flach neben die Tellerchen gepresst, auf eine Kelle Spinat mit Rührei wartend, die kleinen Gläschen mit süßem Pfefferminztee gefüllt, erschien ihr märchenhaft. Danach auf den klapprigen Klappliegen Mittagschlaf halten, zusammen mit ihren Freunden, im kollektiven Einvernehmen sozusagen, war gewiss etwas Wunderbares. Ein zusammenschweißendes Erlebnis allemal. Und endlich würde sie mal nicht die flüchtigen und mitunter ein wenig neidvollen Seitenblicke der anderen Kinder auf sich ziehen, die ebenso gern Mittagskinder gewesen wären, es aber nie waren. Und die schrill und kurz angebunden brüllten: „Tine, abgeholt.“, sobald Tines Mutter den Kopf zur Tür hineinsteckte, sich dann abrupt abwandten und unbeeindruckt weiter spielten. So als wäre Tini nie beim Puppenspiel dabei gewesen. Das war doch bisweilen sehr verletzend, und sie bat ihre Mutter inständig, sie doch einmal, nur einmal, ein wenig später, vielleicht nach dem Mittagschlafen, abzuholen. „Geht nicht. Du hast nur einen Halbtagsplatz“, erklärte die Mutter dem betrübten Kind.
 
Folglich nutzte Christine ihren halben Tag im Kindergarten umso tatkräftiger. Eifrig machte sie mit bei den Beschäftigungen, die Frau Klusmeier, ihre freundliche Erzieherin, gewissenhaft mit ihren Zwergen durchführte. Christine malte weiße Friedenstauben, die wie lustige Wattebällchen aussahen, schnitt behutsam Blumen aus rotem Buntpapier aus, sang „Kleine weiße Friedenstaube“ und schlug die Klanghölzer dazu exakt im Takt. „Die Vögel und Blumen schenken wir den freundlichen Soldaten der Nationalen Volksarmee“, erklärte Frau Klusmeier, „Sie stehen für uns auf Wacht und schützen den Frieden.“ Das hörte sich bedeutungsvoll an. Und sie trennte sich ohne Widerspruch und nur mit ein bisschen Wehmut von ihren Wattebällchen-Tauben. Christine murrte nie, klagte nie. Ein Vorzeigekind.
 
Eines Morgens saßen alle Kinder im Kreis und Frau Klusmeier fragte mit engelsgleicher Stimme: „Wer weiß denn, wer unser Staatsratsvorsitzender ist?“ Christine meldete sich stürmisch. Sie wusste die Antwort. Na klar. Das weiß doch jeder. Ist ja babyleicht. Den Namen hatte sie schon oft zu Hause gehört, im Fernsehen, und manchmal am Küchentisch. Sie war sich ganz sicher, und stolz platzte sie heraus: „Bundeskanzler Helmut Schmidt.“
 
Frau Klusmeier runzelte leicht die Stirn. Äußerlich blieb sie ruhig. Sie atmete hörbar langsam. Leise und bestimmt sagte sie: „Nein, Christine, das ist falsch. Unser Staatsratsvorsitzender ist Erich Honecker.“ Christine war erschüttert. Verwirrt und ein wenig bekümmert sah sie Frau Klusmeier an. Ihr Blick schien zu sagen: „Sind Sie sich auch ganz sicher, Frau Klusmeier? Ich weiß das aber anders. Sie können ja meine Eltern fragen.“
 
Frau Klusmeier schien unbeeindruckt. „Hier habe ich ein Bild von Erich Honecker für Euch mitgebracht“, flötete sie. „Erich Honecker tut viel Gutes für unser Land. Auch für Euch Kinder. Ihm verdanken wir den Frieden. Und dass es allen Kindern in unserem schönen Land so gut geht und kein Kind Hunger leidet.“ Christine war mucksmäuschenstill. Das mit dem Hunger stimmte wohl, Frau Klusmeier schien sehr überzeugt. Aber das mit dem Staatsratsvorsitzenden? Sie nahm sich vor, zu Hause nachzufragen, was es mit diesem Erich Honecker auf sich hatte. Wieso hatten ihre Eltern ihr nichts von ihm erzählt? Er schien ein Held zu sein. So einer wie Sigmund Jähn, von dem ihre Erzieherin ihnen letzte Woche berichtet hatte. Der war Kosmonaut und für den Frieden in den Weltraum geflogen, hatte Frau Klusmeier gesagt.
 
Am kommenden Tag standen zwei gewichtige Herren in dunklen Mänteln vor Christines Haustür und wünschten ein Gespräch mit ihren Eltern. Sie erkundigten sich mit verkniffenen Lippen, welche Sender denn zu Hause geschaut würden. „Das Fernsehen der DDR,“ erklärten die Eltern ungerührt. Woher denn ihre Tochter den Namen Helmut Schmidt kenne? Und wie sie diesen Menschen für den Staatsratsvorsitzenden halten könne?
 
Oh, tat sie das? Das war uns nicht bekannt. Den Namen habe sie sicher irgendwo, wahrscheinlich im Kindergarten, aufgeschnappt, erklärten die Eltern. Kleine Kinder tun so etwas. Sie hören irgendetwas und plappern es dann nach. Sehr unbedacht, gewiss. Beinahe kriminell. Aber sie wüssten doch, wie das sei mit kleinen Kindern, nicht wahr? Die Herren schauten skeptisch und tuschelten leise. Laut sagten sie, man solle doch häufiger die „Aktuelle Kamera“ mit dem Kind schauen. In den Nachrichten könne man dem Kind unseren Staatsratsvorsitzenden zeigen, und darauf hinweisen, welche wichtigen sozial-politischen Errungenschaften er durchgesetzt hatte. Christines Eltern nickten zustimmend. Natürlich, das sei eine gute Idee. 19.30 Uhr sei ja auch noch nicht zu spät für das Kleinkind. Danach könne es ja gleich einschlafen und morgens um sechs sei es dann wieder munter für den Kindergarten. Sagten die Eltern aber nicht laut. Die Herren hüstelten und verschwanden.
 
Als sie gegangen waren, riefen die Eltern Christine zum vertraulichen Gespräch. Bedeutungsvoll erklärten sie ihr, dass es zwei deutsche Länder gebe. Das eine, in dem sie wohne, heiße DDR und werde von Erich Honecker regiert. Das andere, wo Tante Helga, Onkel Dieter, Tante Gisela und Onkel Karl lebten, heiße Deutschland, und werde von Helmut Schmidt regiert. Das dürfe sie aber nicht im Kindergarten erzählen. Einige Kinder wüssten das nicht und wären sicher traurig, wenn Christine etwas erzähle, worüber die anderen nicht Bescheid wüssten. Im Kindergarten solle sie lieber nur von Erich Honecker sprechen, den würden alle Kinder kennen. Oder zumindest bald kennen lernen. Christine war ein intelligentes Kind und begriff schnell.
 
So wie viele Kinder damals schnell begreifen mussten, was sie wem, wo, wann und warum erzählen durften und was nicht, um sich und ihre Familie politisch zu schützen. Die falschen Worte am falschen Ort zu der falschen Person konnten ungeahnte Konsequenzen haben und im schlimmsten Fall Verwandte und sogar Eltern und Geschwister hinter Gitter bringen. Kinder wuchsen schon im Kindergarten als kleine Diplomaten auf.
 
„Ein Diplomat ist ein Mann, der offen ausspricht, was er nicht denkt“, formulierte der italienische Journalist, Schriftsteller und Ideologiekritiker Giovannino Guareschi. Dessen literarische Protagonisten Don Camillo und Peppone, liebeswerte Antipoden im Clinch zwischen Kirche und Kommunismus, schlitzohrig und schlagfertig gleichermaßen, waren indessen alles anderes als diplomatisch. Diplomatisches Verhalten bescheinigt, laut Wikipedia, den Agierenden „Kompromissbereitschaft und den Willen, die Absichten und Wünsche jedes Beteiligten zu berücksichtigen.“ Also, wenn das nicht genau dem Verhalten der „Diplomaten“-Kinder entsprach. Ihre Antworten kamen voll und ganz den Wünschen aller Beteiligten entgegen, also den Lehrern und Erziehern. Kompromissbereit erklärte Christine sich mit Erich Honecker als Staatsratsvorsitzendem (ein schweres Wort für eine Vierjährige) einverstanden. Treu und auf Linie formulierten wir auch später unsere Aufsätze in Staatsbürgerkunde und Deutsch, die Anregungen unserer Lehrer aufgreifend und phantasievoll ausschmückend.
 
Sicher hätte Frau Klusmeier auch anders reagieren können als gleich der Familie die Stasi auf den Hals zu hetzen. Ein stilles Schmunzeln, ein wissendes Lächeln über „Kindermund tut Wahrheit kund“ wäre vielleicht angebrachter gewesen. Doch wer weiß, wie es ihr ergangen wäre, hätte sie so nachgiebig, ja sogar nachlässig reagiert. Wie lange noch wäre ihr als Pädagogin im Kindergarten Bummi die Erziehung der Kleinsten anvertraut worden? Die Augen und Ohren „unseres“ Staatsratsvorsitzenden waren überall. Und die seiner Ehefrau Margot, seit 1963 (bis 1989, lange sechsundzwanzig Jahre) Volksbildungsministerin. Ihr lag die politische Bildung der Kleinsten besonders am Herzen, ihr politischer Druck war kompromisslos und mächtig. In ihrem sozialistisch-dogmatischen Bildungssystem wollten und mussten wir bestehen. Chancengleichheit hin oder her. Reine Idealisierung. Es gab keine individuelle, leistungsabhängige, ideologiefreie Förderung, keinen Schulerfolg entsprechend persönlicher Begabungen. Nicht an der Polytechnischen Oberschule. Was es gab war Langeweile für leistungsstarke und Überforderung für leistungsschwache Schüler im Gleichmacher-Schulsystem. Wenn ich in diesem System bestehen und die Oberschule besuchen und studieren wolle, erklärten mir meine Eltern frühzeitig, dann müsse ich in der Schule sagen, was die Lehrer hören wollten, und nicht, was ich selber dachte oder gar die politischen Überzeugungen unserer Familie widerspiegelte.
 
Ähnlich wie Christine lernte auch ich früh zu unterscheiden, was ich wem erzählen durfte und was ich besser für mich behielt. In der ersten Klasse rieten meine Eltern mir, nicht jedem zu erzählen, dass ich die Christenlehre besuche, denn das würde meine Aussichten auf einen Platz an der Erweiterten Oberschule und das Abitur stark beeinträchtigen. Ich sollte möglichst nicht über Sendungen im Westfernsehen sprechen, die ich zu Hause schaute. Selbst wenn der Samstagabendfilm auf ARD Thema in der Hofpause wäre, sollte ich mich zurück halten. Das war manchmal schwierig, in einigen Fällen allerdings für das Erhalten von Freundschaften durchaus vorteilhaft. Da hatte ich die schnulzig-schöne Weihnachtsserie Silas auf ZDF gesehen und konnte nicht mit meiner Freundin Andrea über Patrick Bachs zuckersüße Frisur quatschen, denn Andrea hatte kein Westfernsehen, da ihre Mutter Richterin war. Sie hätte nicht mitreden können, und wer weiß, wie weit sich ihre Kenntnisse über meine Westfernsehgewohnheiten herumgesprochen hätten. Westfernsehen war mir (im Gegensatz zu ihr) zwar nicht verboten, doch von Staatsseite her auch nicht gern gesehen. Das konnte einem schon den Spaß am Fernsehen wenn nicht verderben, so doch beeinträchtigen.
 
Ich sollte nicht darüber reden, dass meine Oma Pakete aus dem Westen geschickt bekam. Fragten meine Klassenkameraden nach der Herkunft meiner schicken Nikis und Jeans (die neueste Mode aus dem Westen trugen wir einige Jahre später, wenn die Kleidung dort, weil unmodisch, abgelegt wurde), sollte ich antworten, mein Vater hätte sie aus dem Ausland mitgebracht. Da er zur See fuhr, wäre das für ihn generell möglich gewesen, wäre es denn um seine Devisen besser bestellt gewesen. Natürlich konnte ich nicht sagen, meine Mutter hätte die Jeans im Modeladen Exquisit gekauft, denn Stonewash Jeans gab es auch dort nur in einer einzigen Ausführung. Solche Jeans gab es nicht im Osten. Höchstens in Ungarn. Mit Angebot und Marken kannten wir uns aus.
 
Am deutlichsten schärften meine Eltern mir ein, gewisse private Informationen und Gesprächsthemen unter allen Umständen für mich zu behalten. Welche, dafür entwickelte ich mit zunehmendem Alter ein untrügliches Gespür. Als Kind hätte ich sicher nicht verstanden, warum Kollegen von meinem Vater sich im Nord-Ostsee-Kanal vom Schiff abgesetzt hatten, und sie nun vielleicht ihre Kinder zu Hause nie wieder sehen würden.
 
Ich wurde Diplomat. Ich lernte, mit wem ich über Weihnachtsserien diskutieren konnte, und mit wem nicht. Mit wem ich über Klamotten und Westpakete sprechen konnte und mit wem nicht. Mit wem ich über Religion sprechen konnte. Und mit wem nicht. Ich lernte, wem ich Geheimnisse anvertrauen konnte. Und wem auf keinen Fall.
 
Auch wenn uns in frühester Jugend noch nicht wirklich klar war, was eine mögliche Missachtung dieser Rederegeln für uns bedeuten konnte. Das war in den Fünfziger Jahren anders. Meine Mutter wuchs in ständiger Angst auf, ihr Vater könne von Männern in schwarzen Igelit-Mänteln abgeholt werden und nicht mehr heimkommen, falls sie nur etwas Falsches sagte. Oft genug geschah es, dass Menschen einfach verschwanden. In den Siebzigern lernte ich diese Angst nicht mehr kennen. Gleichwohl war mir bald sonnenklar, dass falsche Äußerungen Konsequenzen hätten. Vor allem bei meiner Ausbildung, mahnten meine Eltern.
 
Hatte dieses „diplomatische“ Verhalten Auswirkungen auf unseren gesunden Menschenverstand? Lebten wir dabei nicht in ständigem Argwohn? Wurden wir da nicht schizophren? Nein. Man verlernte vielleicht zu sagen, was man wirklich dachte oder behielt es einfach für sich. Man baute vielleicht eine zynische Distanz zu gewissen Themen auf. Die aber kommt uns heute auch zugute – in einer Zeit, in der Distanz en vogue und Zynismus populär ist, in der wir zynische Distanz zur eigenen Geschichte und Kultur täglich erleben. Unsere „Diplomatenausbildung“ ist uns auch im Beruf von Nutzen. Wir sind vorsichtiger, kompromissbereiter, überlegter mit unseren Äußerungen, vor allem Autoritäten gegenüber, was aber nichts mit Feigheit oder Unehrlichkeit zu tun hat. Wir sind lediglich ein wenig feinfühliger für anderer Menschen Geltungsbedürfnis und Arroganz. Und erlauben ihnen ihre Absichten und Wünsche, frei nach der Devise: „Der Diplomat schafft den Spagat.“

Sonntag, 9. Juni 2013

Kindergarten, Schweinebraten: Kindergartenalltag in der DDR


Am 1. September 1977, drei Monate nach meinem fünften Geburtstag, änderte sich mein fröhliches Kinderleben schlagartig. Ich kam in den Kindergarten. War ich bis dahin der Kinderkrippe und dem langen Arm der sozialistischen Erziehung entgangen (ich verbrachte bis dahin meine Tage bei meiner Oma, während meine Mutter arbeitete), so sollte ich nun in den Genuss der Vermittlung einer sozialistischen Moral kommen und unter Aufsicht des Ministeriums für Volksbildung zur Schulreife geführt werden. Als erste Stufe des zentralen Bildungssystems nahm der Kindergarten nicht nur den werktätigen Müttern tagsüber die Kinderbetreuung ab und verhalf ihnen dazu, gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein. Als vorschulische Erziehungseinrichtung war er auch dem strengen Regime Margot Honeckers untergeordnet. Hier begann die Formung des guten sozialistischen Bürgers. Dafür sorgte der Staat mit kostenlosen Kindergartenplätzen für 98 Prozent aller Drei- bis Sechsjährigen.
 
Meine Mutter hatte im Kindergarten „Storchennest“ im zwei Kilometer entfernten Nachbardorf einen Platz zugewiesen bekommen -- für mich nicht nur räumlich unendlich weit von meinem Zuhause entfernt. Das alte Siedlerhaus mit Wiese und Spielplatz war ab jetzt zehn Stunden täglich mein Domizil. Drinnen zwei Gruppenräume, ein schmaler Flur mit schmalen Garderobenleisten und schmalen Bänken, ein braungefliester Waschraum und Küche. Alles war klein und übersichtlich. Für mich allerdings irgendwie unüberschaubar. Wie beneidete ich den Storch in seinem Nest auf dem Dach. Er hatte den freien Überblick und konnte fliegen, wohin er wollte.
 
Ein typischer Kindergartentag begann für mich dunkel und kalt und mit Bauchschmerzen. War ich das gesamte Wochenende kerngesund und mopsfidel, so stellte sich pünktlich am Sonntagabend wie auf Bestellung ein erstes Zwicken in der Magengegend ein. Am Montagmorgen um halb sechs war ich krank, denn eine Woche Kindergarten lag vor mir. Doch so sehr ich mich auch weinend an meiner Mutter festklammerte, es half nichts. „Kind, sei doch vernünftig.“ Und ich war vernünftig. Schließlich war ich „die Große“.
 
Ich ließ mir die grüne Brottasche aus derbem Schweinsleder um den Hals hängen und marschierte schluchzend und allein, meine Tränen tapfer unterdrückend, die fünfhundert Meter bis zum Konsum. Dort wartete ich zusammen mit anderen Kindern aus dem Dorf auf einen zum Bus umfunktionierten LKW unserer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, kurz LPG, der uns um sechs Uhr abholte. Meine Mutter beteuert zwar, sie habe mich manchmal mit dem Auto gefahren, aber diese Glücksmomente sind meinem Gedächtnis entschwunden. Manchmal fuhr mich auch meine Oma auf dem Fahrrad zum Konsum und der Tag begann nicht ganz so dunkel, aber immer noch grau.
 
Der Tagesablauf war stets der gleiche, schriftlich von den Erzieherinnen geplant und bis ins Detail geregelt, um gut vorbereitet zu sein und ihre Pädagogik unter einheitlichen Gesichtspunkten zu durchdenken. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Hatten sie doch den Nachwuchs gemäß Lehrplan so zu lenken, dass Wissen, Können und Verhalten, das wir Kinder uns aneigneten, den angestrebten gesellschaftlichen, zentral festgelegten Zielen entsprach. Kinder, gemäß den damaligen aktuellsten psychologischen und pädagogischen Erkenntnissen als unfertig und defizitär angesehen, waren eher pädagogisches Objekt als Subjekt ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Erst durch Arbeit und Spiel, gewöhnlich unter Anleitung, reiften sie.
 
Morgens vor dem Frühstück hatten wir Zeit zum freien Spielen. In geregeltem Rahmen, versteht sich, und in begrenztem Umfang. Ich saß an einem kleinen Tischchen im Gruppenraum und malte konzentriert und versunken Ostereier und Blumenwiesen. Ich hatte keine Lust, mit den anderen Kindern zu bauen oder Puppenfamilie zu spielen. Zum Frühstück aßen wir unsere mitgebrachten Wurstbrote und tranken süßen Pfefferminztee. Danach war Schluss mit Individualismus und wir gingen zur Gruppenarbeit über.
 
In der Gruppe malten wir gleichfalls Blumenwiesen, aber mit Instruktionen und thematischen Schwerpunkten. Wir malten Frühlingsbilder, Kinder bei der Hausarbeit mit Wischeimer und Schrubber, Werktätige in den Betrieben oder Soldaten und Panzer. Wobei die Erzieherin genau darauf achtete, wie und in welcher Hand wir den Stift hielten und dass wir nicht über Konturen hinaus malten. Wir bastelten Friedenstauben und Windräder, kneteten Tiere und Traktoren, verglichen Mengen von bunten Stäbchen und stapelten Gefäße nach ihrer Größe.
 
Wir sangen auch viel, konform zum Lehrplan. Denn Singen stand „im Dienste der sozialistischen Erziehung“, wie im Liederbuch für die Vorschule Sputnik, Sputnik, kreise angemerkt. Folglich stehe, so das Vorwort, „das Gegenwartslied“ im „Vordergrund der Singearbeit“ und „überliefertes Liedgut“ sei „sorgfältig auszuwählen und anzuwenden“. Kapitel Eins des beliebten Liederbuches „Wisst ihr, was ich werden will“ widmete sich Liedern „vom sozialistischen Aufbau in Stadt und Land, von den Helfern bei der Arbeit, von Kran und Bagger, von Traktor und Kombine, von den Berufen der Eltern, von den Soldaten unserer Volksarmee, von Auto, Feuerwehr, Eisenbahn und Sputnik; Lieder vom Handwerk, von Bäcker, Schneider, Schuster, von Maurer, Tischler, Schlosser, Schmied und Schornsteinfeger.“
 
Wir sangen fröhlich „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“, „Der Volkspolizist“ oder „Mein Bruder ist Soldat im großen Panzerwagen, und stolz darf ich es sagen: Mein Bruder schützt den Staat, meiner Bruder schützt den Staat.“ Um schließlich auch, laut Lehrplan, „freundschaftliche Gefühle zu den Soldaten der NVA“ herauszubilden. Dazu schlugen wir Triangel, Trommel und Klanghölzer. Wäre mein Vater Panzerführer gewesen, hätte ich sicher mit noch mehr Inbrunst mitgeträllert. Doch es gab kein zeitgenössisches Liedgut über Ingenieure, Juristen, Ärzte oder Kapitäne.
 
Auf unsere Gesundheit wurde besonders geachtet. Ein fester Tagesablauf, Bewegung, frische Luft, gesunde Ernährung und Körperpflege sollten unserem Nervensystem und Organismus nachweislich gut tun. So putzten wir nach dem Mittagessen gemeinschaftlich unsere Zähne, schulten durch Turnübungen gezielt unsere motorischen Fähigkeiten und machten Fußgymnastik mit einem Stofftaschentuch, das wir zwischen unsere Zehen klemmten. Meine Mutter als Orthopädin fand diese Übung ausgezeichnet. Auf Spielplatz und Wiese spielten wir Fangen, pflückten Löwenzahn, um aus den Blüten dunkelbraunen, bitter-süßen Honig zu kochen, und futterten Taubnesselblüten und Sauerampfer. Das behauptete jedenfalls Tommi, der frechste Junge meiner Gruppe, der sich als Spezialist für Kräuterkunde ausgab. Ich weiß bis heute nicht, wie Sauerampfer aussieht und was wir tatsächlich aßen.
 
Nach dem Mittagessen machten wir Mittagschlaf auf Klappliegen. Manchmal las uns eine engagierte Kindergärtnerin eine Geschichte vor. Eine weniger engagierte Aufpasserin befahl uns zu schlafen und wachte wie ein Luchs über unsere Bewegungen. Schon nach zwei Minuten konnte ich nicht mehr in der gewählten Schlafposition liegen und versuchte, meinen Arm zu verdrehen oder – das grenzte an Tollkühnheit – mich umzudrehen. Sofort ermahnte sie mich: „Kind, lieg still!“ Besonders qualvoll war es, wenn mein Bein juckte und ich es unbedingt kratzen musste. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Meine Gedanken kreisten darum, wie ich dem Juckreiz, der an Intensität zunahm, Einhalt gebieten konnte, ohne dass die Aufpasserin es sah. Nach minutenlangem Ausharren wagte ich mutig ein Kratzmanöver. Und erntete prompt einen Aufschrei der Empörung: „Kind, lieg endlich still und schlaf! Und versuche nicht noch einmal, auch nur deinen kleinen Finger zu bewegen. Ich sehe alles!“
 
Dieses paramilitärische Verhalten konnte nicht den staatlich ausgebildeten Aufpasserinnen angelastet werden, die sich stets um das Wohlergehen und die Erziehung von uns Kindern bemühten. Es war einzig und allein den Umständen, genauer gesagt, der Beschaffenheit der Klappliegen geschuldet. Die Liegeflächen unserer Betten waren nämlich aus Pappe, die bei der kleinsten Erschütterung ausbrach, und der Hausmeister kam mit den Reparaturen nicht mehr hinterher.  
 
Manchmal hatten wir Glück und unsere Erzieherin zog sich zur wohlverdienten Kaffeepause mit ihren Kolleginnen zurück und ließ uns Fünfjährige unbeaufsichtigt. Tommi erzählte dann eine seiner Geschichten von betrunkenen Hühnern, tollwütigen Hunden oder dreisten Kinderfängern im Dorf. Ich hatte furchtbare Angst und meine Mutter Mühe, mir zu erklären, dass Tommi eine rege Fantasie habe und es bestimmt keinen Kinderfänger gäbe. Womit sie sicher Recht hatte. Wir spielten auch Fusselverkauf, indem wir Fussel von unseren Decken abzupften und an andere Kinder weiter gaben. Während einige Jungen wagemutig von Fusselstand zu Fusselstand sprangen, um schnell unter ihre Decken zu schlüpfen, wenn die Erzieherin nahte (und damit den Zusammenbruch ihrer Liegen riskierten), bewegte ich mich nicht von meiner Liege weg. Das war ja schließlich nicht erlaubt!
 
Überhaupt hielt ich mich an Verbote und Vorschriften. Nicht weil ich unbedingt Angst vor den Folgen des Vergehens hatte, sondern weil ich so erzogen war. Ich redete nicht dazwischen, wenn Erwachsene sich unterhielten, ich wusch mir vor dem Essen die Hände, aß mein Mittag auf und befolgte auch sonst geflissentlich die Anweisungen der Erzieherinnen. Eine mitfühlende Erzieherin schenkte mir für so viel Vorbildleistung eine Storchenfeder, die vom Nest gefallen war. Wohl auch, um mich zu ermutigen, ein wenig meine Schüchternheit abzulegen. Tommi schien es nichts auszumachen, wenn er wieder mal in der Ecke stehen oder seine Strafzeit auf dem Flur absitzen musste, nachdem er sich mit Frank geprügelt hatte. Solche Strafen waren normal. Konflikte zwischen den Kindern hatten die Erzieherinnen sofort im Ansatz zu unterbinden. Konfliktbewältigung stand anscheinend nicht auf dem Lehrplan.
 
Zur umfangreichen Erziehung von Vorschulkindern gehörte es auch, uns mit der Arbeit der Werktätigen in den Betrieben vertraut zu machen. Um den Wert der Arbeit für die Gemeinschaft kennen und achten zu lernen, eine Vorstellung vom gesellschaftlichen Leben zu bekommen und das „sozialistische Heimatland“ lieben zu lernen. Während Stadtkinder eine große Auswahl volkseigener Betriebe vor der Haustür hatten, besuchten wir die LPG im Dorf. Die Genossenschaftsbauern zeigten uns Mähdrescher und Traktoren, und die Jungen waren schwer beeindruckt und wussten, dass sie auch einmal Mähdrescherfahrer werden wollten.
 
Die Vorschulgruppe durfte im Frühling sogar die „Gelbe Hummel“ besichtigen. Das war das gelbe Düngemittelflugzeug unserer LPG, das chemische Giftstoffe zur Kartoffelkäferbekämpfung auf die Felder streute. Wir Kinder kannten sie gut und riefen laut „Die Gelbe Hummel“, wenn sie über unsere Häuser und Gärten flog. Jedes Flugzeug, egal wie groß, war eine Sensation. Hand in Hand und in Zweierreihe spazierten wir zur Landebahn der Hummel am Dorfrand, einem holprigen Plattenweg aus Beton, mitten im Getreidefeld versteckt. Hier übte ich später Moped und Auto fahren. Genosse Michalek, Bauer und Pilot, begrüßte uns und zeigte uns das Herz der Hummel, erklärte uns geduldig alle Schalter und Hebel und erlaubte uns, kurz auf dem Pilotensitz Platz zu nehmen. Sogar Tommi war für den Bruchteil einer Sekunde mucksmäuschenstill und fasziniert. Pilot stand ganz weit oben auf der Berufswunschliste vieler Jungen und würde dort auch bleiben.
 
Unser Kindergartenjahr war gespickt mit Höhepunkten. Zu Weihnachten kam der Weihnachtsmann mit Larve und Bart. Wir sagten Gedichte auf und erhielten Schokoladenweihnachtsmänner und neues Spielzeug für unsere Gruppe. Zum Fasching verkleideten wir uns als Rotkäppchen, Cowboy, Indianer, Ungarin und Clown und schmückten unsere Gruppenräume mit selbst gebastelten Girlanden und Luftballons, die es auf Zuteilung für Kindergärten gab, und zu nationalen Kampf- und Feiertagen sangen wir die einstudierten Lieder aus dem ff.
 
Jeden Abend um siebzehn Uhr brachte mich der LKW-Bus wieder in mein Dorf zurück. Mein Weg vom Konsum nach Hause war im Winter besonders lang und dunkel. Die funze
lige Straßenbeleuchtung fiel häufig aus. Einmal schneite es stürmisch. Ich saß am Busfenster, schaute auf die schneebedeckten Felder, hörte den Wind fauchen und überlegte angestrengt, wie ich bei dem Wetter nach Hause kommen sollte? In Gedanken versunken merkte ich nicht, als der Bus auf der Landstraße hielt und jemand nach mir fragte. Es dauerte eine Weile, bis ich reagierte. Und schließlich strahlte ich, als mein Opa vor mir stand, gekommen, um mich bei dem Schneegestöber abzuholen. Ein Lichtblick in dunkler Zeit.
 
Zwei Jahre ertrug ich den Kindergarten. Auf Anraten einer kompetenten Erzieherin – „Da hat sie ein Jahr weniger zur Rente“ – entschieden sich meine Eltern gegen eine vorzeitige Einschulung. Der Stichtag zur Einschulung war der 31. Mai. Meine Mutter tröstete mich: „Nicht mehr lange und du kommst in die Schule.“ Ich harrte aus. In gespielter, glücklicher Kindergemeinschaft. Und entwickelte schon damals gewisse Ressentiments gegen gelenkte Freizeitbeschäftigung. Wohl, weil ich zu lange zu individualistisch aufgewachsen war. Bei Oma hatte ich ausschlafen, spielen, malen und kneten dürfen, was meiner Fantasie entsprang, und zu Mittag die leckersten Gerichte aus Omas Küche gegessen. Nun stand ich morgens um halb sechs auf, knetete nach Vorschrift und musste grundsätzlich alles aufessen, was auf den Teller kam. Zwar konnten wir durchaus unsere individuellen Fähigkeiten und Neigungen, Vorstellungen und Bedürfnisse entwickeln – soweit sie der Gemeinschaft nützten. Wir sollten uns im Kollektiv wohl fühlen und das Bedürfnis entwickeln, freundschaftlich allen dienlich zu sein. Unsere Selbstverwirklichung und individuellen Bedürfnisse sollten wir dem großen Ganzen unterordnen, nach der Doktrin: Was für die Gruppe gut war, war auch für den Einzelnen gut. Ich fühlte mich eher verraten und verkauft, frei nach dem alten Spruch meines Opas, „Kindergarten, Schweinebraten, hat die ganze Welt verraten.“

Sonntag, 2. Juni 2013

Ein Kessel Buntes, Elvis und meine Geburt: Das Jahr 1972

Der 10. Juni 1972 war ein Samstag. Die Sonne lachte am blauen Frühlingshimmel über der Rostocker Altstadt und die Vögel zwitscherten in der wuchtigen, mit einem dichten rosa Blütenschleier überzogenen Magnolie vor der altehrwürdigen Frauenklinik. Die Straßenbahn bimmelte wie zum Gruß vor dem Backsteingebäude und ein sanfter Geruch von gekochten Kartoffeln und Hefe von der Rostocker Brauerei lag in der Luft.
 
Astrid lag mit neun anderen Frauen in Saal Nummer Drei auf der Entbindungsstation. Neun Frauen in einem Zimmer – das war laut, aber es hatte seine Vorteile. So war auf jeden Fall eine unter ihnen, mit der Astrid sich gern unterhielt. Durch das gesamte Zimmer, wenn es sein musste, und in entsprechender Lautstärke, aber angeregt. Die Neugeborenen bekamen vom Gesprächslärm nichts mit, denn sie standen im Säuglingssaal am Ende des Ganges. Zu den Stillzeiten brachten rosa gekleidete Schwestern die zerknautschten Würmchen und die Frauen legten sie an ihre Brüste. Eine rigorose Stillschwester machte die Runde und half, wenn es mit dem Stillen nicht klappte.
 
An diesem 10. Juni meldeten Meteorologen in Madison, USA, den spätesten Frost aller Zeiten. In Rapid City, Süddakota, lösten Orkane eine Flutwelle aus, bei der 237 Menschen starben. In Washington legte Präsident Richard Nixon dem Senat das Abrüstungsabkommen SALT I mit der Sowjetunion zur Ratifizierung vor, während sich am anderen Ende der Stadt, im Hauptquartiert der NASA, Raketentechniker Wernher von Braun in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedete. Und in New York City gab Elvis Presley sein erstes Konzert in der Metropole, vor einer tobenden Menge im ausverkauften Madison Square Garden, und sogar John Lennon und Bob Dylan zollten dem King begeistert Beifall.
 
All diese Vorkommnisse geschahen weit weg von dem weiß getünchten Kreissaal der Frauenklinik in Rostock und hätten sich ebenso gut auf einem anderen Planeten zutragen können. Denn selbst wenn sie einen Fernseher in ihrem Saal gehabt hätten, woran damals noch nicht zu denken war, hätten Astrid und ihre Zimmergenossinnen von den meisten dieser Ereignisse nichts in den abendlichen Fernsehnachrichten erfahren. Stattdessen berichtete die „Aktuelle Kamera“, die tägliche Nachrichtensendung um 19.30 Uhr, vom XI. Bauernkongress in Leipzig und der Planerfüllung in der Landwirtschaft. In Ausschnitten wurde eine Routineansprache des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in der Volkskammer gezeigt. Worum es ging, war unerheblich, wichtig war der Beifall. Der dauerte drei Minuten und wurde in ganzer Länge und mit Großaufnahmen lächelnder Abgeordneter gezeigt. Von Amerika war keine Rede. Das war damals nicht weiter auffällig, denn 1972 pflegte die DDR keine diplomatischen Beziehungen zu den USA. Kurz und knapp und monoton, aber wie immer grammatikalisch kompliziert und langatmig, um den Eindruck intelligenter Analyse zu erwecken, berichtete die Nachrichtensprecherin von der Baader-Meinhof Gruppe, die an jenem Samstag in der westdeutschen Botschaft in Dublin einen Sprengsatz setzte, aber glücklicherweise niemanden verletzte. Es war ein Tag wie jeder andere. Keine besonderen Vorkommnisse, keine besonderen Nachrichten.
 
Am jenem Samstag, den 10. Juni 1972, um zwei Uhr nachts, erblickte ich das Licht der Welt. Drei Tage zu früh und für meine beschäftigte Mutter durchaus überraschend. Sie hatte mich mit einer Magenverstimmung verwechselt. Doch bei der ersten Schwangerschaft kann das selbst einer angehenden Ärztin schon mal passieren, auch wenn man sich noch so umfangreich belesen hatte wie meine umsichtige Mutter.
 
Am Freitagmorgen krümmte sich meine Mutter vor Bauchschmerzen. „All das schwere Essen gestern“, dachte sie, „Mutti hat es wieder mal zu gut mit mir gemeint.“ Am Tag wurde es nicht besser, und nach dem Abendbrot ging Astrid zur Nachbarin. Die war Ärztin und konnte sicher helfen, denn mittlerweile kamen die Krämpfe alle fünfzehn Minuten. „Das ist keine Magenverstimmung“, klärte diese sie auf, „das sind Wehen.“ Na, da sollte mal einer drauf kommen. Die hätten erst doch in einigen Tagen einsetzen sollen, so hatten es Ärzte und Hebammen jedenfalls errechnet.
 
Astrid stöhnte und jammerte immer lauter. Nach einer halben Stunde wurde es ihrem Bruder, der gerade die Hecke vor dem Haus stutzte, zu bunt. „Ich rufe jetzt den Krankenwagen“, sagte er kurzentschlossen. Zielstrebig ging er zum Nachbarn gegenüber, denn der hatte ein Telefon. Wieso er ein Telefon hatte – ein Privileg, das nur Wenigen in der DDR vergönnt war –,  war nebensächlich, im Notfall musste eben ein Stasi-Telefon herhalten.
 
Zur gleichen Zeit im Madison Square Garden in New York City bereitete sich Elvis auf seinen Auftritt vor. Eine freundliche Blondine half ihm in seinen himmelblauen Adonis-Samtanzug, rieb ihm sanft Pomade ins Haar und schminkte seine Augen. Eine eifrige Schwester half derweil Astrid in ein hellblaues Nachthemd, begleitete sie zu ihrem Bett und fragte nach dem Befinden. Astrid stöhnte. Elvis betrat die Bühne; die Massen schrien. Und während der King „Love me tender“ ins Mikrofon hauchte, seine Hüften rollte und hunderte Fans kreischend in Ohnmacht fielen, stöhnte und schrie Astrid noch lauter, bewegte ihre Hüften noch schwungvoller und fiel beinahe selbst vor Schmerz und Anstrengung in Ohnmacht. Nur flüchtig dachte sie an Klaus, ihren Ehemann, der in diesem Augenblick auf einem Frachter am Nordkap schipperte.
 
Dann war es geschafft.
 
Elvis verließ umjubelt die Bühne, und ein neuer Erdenbürger betrat die Bühne der Welt. Astrid hatte ein zierliches, gesundes Mädchen geboren. Das war ich.
 
Zwei Tage später lag Astrid noch immer im Klinikbett und kämpfte mit den Tränen. Ihr Baby wollte nuckeln, aber die Milch kam nicht. Da konnte nur die Stillschwester helfen. Die aber hatte Urlaub und Astrid blieb nichts anderes übrig als in der Klinik zu bleiben und zu warten. Warten tat auch Klaus, sehnlich und voller Aufregung auf den versprochenen Landgang. Mittlerweile war er mit seinem Schiff im Rostocker Überseehafen eingelaufen, konnte aber nicht von Bord und in einigen Tagen schon würde er wieder auslaufen und erst in zwei Monaten nach Rostock zurückkehren. Astrid versuchte Klaus anzurufen, was erst nach Stunden möglich war. Sie hinterließ meinem Vater die Nachricht über meine Geburt, die er tatsächlich 22,5 Stunden später erhielt.
 
Meine Mutter war eine Spätgebärende. Meinte zumindest die Hebamme, obwohl sie gerade fünfundzwanzig war. Doch in der DDR bekam die Durchschnittsschwangere ihr erstes Kind mit spätestens zwanzig. Das Medizinstudium hatte meine Mutter aufgehalten, was aber auch Vorteile brachte, denn im April hatte das Zentralkomitee der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (der machthabenden Partei in der DDR), neue sozialpolitische Maßnahmen beschlossen. Ab sofort gab es ein „Begrüßungsgeld“ für jeden neugeborenen DDR-Bürger in Höhe von eintausend Mark. Perfektes Timing sozusagen; das Geld konnten Astrid und Klaus für ihre erste Wohnungseinrichtung gut gebrauchen.
 
Sieben Tage nach meiner Geburt wurden Mutter und Kind entlassen. Am gleichen Tag brachen in Washington D.C. Männer ins Watergate-Gebäude ein und wurden festgenommen. Während Nixon alles tat, um nicht diese Affäre verantworten und aus dem Weißen Haus ausziehen zu müssen, zog ich in das Kellerzimmer meiner Mutter bei meinen Großeltern ein. Sie begrüßten mich herzlich. Nur mein Opa konnte sich partout nicht mit meinem Namen anfreunden und wollte meiner Mutter nur allzu gern das nötige Geld geben, um ihn ändern zu lassen, möglichst in einen der gängigen Namen in der DDR, die 1972 Daniela, Manuela, Andrea, Sandra, Claudia, Anja und Jana lauteten. Aber Astrid blieb hart. Es hatte sie viel Mühe und Zeit gekostet, den Namen auf dem Standesamt durchzusetzen. Einen Monat hatte es gedauert, bis ein Leipziger Linguist bestätigte, dass es sich bei meinem Vornamen tatsächlich um einen Mädchennamen französischer Herkunft handelte. Aber die Schutzpatronin der Hauptstadt Frankreichs, Sainte Geneviève, deren Namen ich trug, war weit entfernt von den Standesämtern Ostdeutschlands und deren offiziellen Namensbüchern.
 
Im August lernte ich meinen Vater kennen. Er hatte endlich Urlaub. Liebevoll hielt er mich im Arm und kuschelte ausgiebig mit mir. Während ich ihn und seine Uniform interessiert betrachtete, schaute die Welt gebannt auf München, Austragungsort der XX. Olympischen Sommerspiele, und reagierte geschockt auf ein Attentat auf die israelische Olympiamannschaft. Trotz gescheiterter Geiselbefreiung gingen die Spiele weiter und „unsere“ DDR-Athleten kehrten mit 20 Gold-, 23 Silber- und 23 Bronzemedaillen heim und mit Platz drei im Gesamt-Medaillenspiegel, nach der Sowjetunion und den USA. Erich Honecker schüttelte stolz „seinen“ Olympioniken die Hände, allen voran Hochsprung-Goldmann Wolfgang Nordwig und der fünffachen Medaillengewinnerin Karin Janz. 1972 war auch das Jahr der Fußballeuropameisterschaft, in dem mit einem 3:0 Sieg über die Mannschaft der UdSSR in Brüssel das bundesdeutsche Team Europameister wurde, und wie alle DDR-Bürger hatten auch mein Vater und seine Mannschaft auf See für die Deutschen mit gefiebert.
 
Voller Stolz präsentierten meine Eltern mich meinen Urgroßeltern. Mit zweieinhalb Kilo war ich ein zartes Kind und meine Uroma bezweifelte ernsthaft, dass aus mir jemals etwas werde. „Dat isch man so lütt. Ut de wat scho gonix“, meinte sie, was meine Mutter kränkte. Ich war tatsächlich so klein, dass meine Oma mein erstes Mützchen selbst nähte, denn so kleine Babykleidung gab es nicht. Aber ich wuchs, wozu ich viel Zeit hatte, denn 1972 war das längste Jahr des Gregorianischen Kalenders: als Schaltjahr war es einen Tag und zwei Sekunden länger als üblich.
 
So bot das Jahr auch viel Zeit für weltpolitische Ereignisse. 1972 war das Jahr von Apollo 17, dem ersten Taschenrechner HP-35 und dem Start der Serie Raumschiff Enterprise im westdeutschen Fernsehen. Der deutsche Playboy eroberte die Männerherzen im Westen und, unter der Hand und mit Beziehungen, auch im Osten, Heinrich Böll erhielt den Literaturnobelpreis und Charles Chaplin den Ehren-Oscar für seine Verdienste um die Filmkunst. Es war ein Jahr der Bombenanschläge der RAF und der Verhaftung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, ein Jahr der Flugzeugabstürze über London, Teneriffa, Moskau, Miami, Uruguay und über Königs-Wusterhausen. Es war ein Jahr der Erdbeben in Iran und Nicaragua, ein Jahr der Flutwellen und Orkane in den USA und Niedersachsen, und das Jahr der Entführung einer Lufthansa-Maschine durch arabische Terroristen im Südjemen, an die die Bundesregierung fünf Millionen US-Dollar Lösegeld zahlte.
 
1972 war auch ein Jahr der Abgrenzungen. Die DDR kämpfte noch immer um weltweite Anerkennung, bis am 26. Mai der Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR unterzeichnet wurde, der die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Anerkennung der Vier-Mächte-Verantwortung, die Beschränkung der Hoheitsgewalt auf das jeweilige Staatsgebiet und den Austausch „ständiger Vertreter“ festschrieb. So gestärkt bezeichnete Honecker die Bundesrepublik prompt als „imperialistisches Ausland“ und legitimierte vier Monate später den Schießbefehl. An der „Staatsgrenze West“ wurden Schutzstreifen und Sperrzonen festgelegt und die Anwendung der Schusswaffe durch die DDR-Grenztruppen gemäß den Bestimmungen des Ministeriums für Nationale Verteidigung für zulässig erklärt. Ende des Jahres kam schließlich auch die Schweiz nicht mehr umhin, die DDR als eigenständiges Land anzuerkennen.
 
Ich wuchs und gedieh derweil prächtig und mein Opa organisierte ein Laufgitter, in dem ich meine ersten Stehversuche unternahm. Ich zog mich mühsam an den bunten Gitterstäben hoch, betrachtete neugierig unser Wohnzimmer aus dieser faszinierenden Perspektive und versuchte angestrengt und ausdauernd, über die Absperrung zu klettern. Während ich die Grenzen meines Laufgitters irgendwann würde überwinden lernen, würde ich aufwachsen in dem Bewusstsein, in einem eigenständigen deutschen Staat zu leben, dessen Grenzen klar definiert und unüberwindbar waren.
 
Ein wenig Westluft jedoch wehte über den Äther zu uns herüber. Während das DDR-Fernsehen 1972 erstmals die Erfolgsshows „Ein Kessel Buntes“ und „Außenseiter, Spitzenreiter“ ausstrahlte und im Transistorradio auf DT 64 Frank Schöbel den Hit „Gold in deinen Augen“ hauchte, hörten meine Eltern NDR 2, wo Tony Christie „Is This the Way to Amarillo?“, Middle of the Road „Sacramento“ und Christian Anders „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ sangen. Derweil schlief ich friedlich in meinem Körbchen schlief und träumte vielleicht von einem Land ohne Grenzen.

Montag, 27. Mai 2013

Im Gleichschritt -- Marsch! Zivilverteidigung in der Schule


Eine meiner Lieblingsgeschichten über die DDR ist die über unseren Sommerlehrgang Zivilverteidigung. Ende der neunten Klasse, drei Wochen vor den großen Ferien, hatten wir keinen Unterricht mehr. Stattdessen hatten wir Mädchen Zivilverteidigung, kurz: ZV.
 
Zivilverteidigung galt als „fester Bestandteil der sozialistischen Landesverteidigung“. So stand es im Lehrbuch Zivilverteidigung Klasse 9, Kapitel Eins. Der Lehrgang war Teil des Wehrunterrichts, der ab 1978 für alle neunten Klassen Pflichtveranstaltung war. Unser friedliebendes Land hielt es für notwendig, alle Bürger zu mobilisieren, um den „imperialistischen Kriegstreibern in den Arm zu fallen und ihre Absichten zu durchkreuzen“, schrieb besagtes Lehrbuch. Unter Einsatz unseres Lebens, versteht sich, sollten wir den militärischen Schutz des Sozialismus gewährleisten und „im Falle einer imperialistischen Aggression an der Seite der Sowjetunion“ den Feind schlagen. Unser Lehrbuch lieferte die notwendige ideologische Argumentationskette und ein klares Feindbild. Zur Erhaltung des Friedens Krieg spielen. Was für eine widersinnige Argumentation -- sagte ich aber nicht laut.
 
Drei Wochen vor Schuljahresende schlüpften wir Mädchen in olivgrüne Uniformen und marschierten über das Schulgelände. Während die Jungen ins Wehrlager fuhren, meist ein Kinderferienlager der nahen Umgebung. Das fanden wir fetziger. Wer allerdings als ideologisch aufmüpfig galt, musste bei uns Mädchen mitmachen. Um Zersetzungserscheinungen im Wehrlager vorzubeugen. Der Juni war warm. Wir stöhnten über die Hitze, schwitzten in unserer Tarnkluft und verfluchten die schweren Lederstiefel. Und freuten uns über den Ausfall von Mathe, Physik und Chemie. Dass wir auch attraktiv in Oliv aussahen, davon versuchten uns zahlreiche Fotos im Lehrbuch zu überzeugen: Mädchen mit ernster Miene und weißem Strickrolli unter der Uniformjacke standen stramm in Reih und Glied, ihre langen Haare seidenglatt über die Schultern fallend. Wenn die mal nicht beim Schießen vor die Augen fielen.
 
Mindestens eine von täglich sechs Stunden hatten wir Ordnungsübungen. Schließlich seien, so unser Lehrbuch, „bei Katastrophen oder im Verteidigungsfall“ Aufgaben zu lösen, die „von den Einsatzkräften der Zivilverteidigung und von allen Bürgern unverzügliches, entschlossenes und einheitliches Handeln erfordern, um das Leben, die Gesundheit und das Eigentum der Bürger sowie die Werte der sozialistischen Gesellschaft zu schützen.“ Weiter erklärte es, dass zur „Gewährung eines schnellen und kollektiven Handelns“ aller Personen die Leitung ihres Einsatzes „mit Hilfe kurzer eindeutiger Kommandos“ erfolge, „die für jeden ohne langwierige Erläuterungen verständlich sind.“ Das klang erstmal einleuchtend.
 
Also exerzierten wir: Grundstellung, Blickwendungen, Gleichschritt, Grußerweisungen, Antreten, Ausrichten des Zuges und Marschieren mit Gesang. „In Linie zu drei Gliedern antreten – marsch!“ brüllte unser Ausbilder. Seine Kommandos klangen knackig. „Im Laufschritt – marsch!“ Ich kam mir blöd vor beim Laufen, Arme in Brusthöhe angewinkelt, Ellenbogen steif nach hinten, Hände zur Faust geballt und durch „rhythmisches Durchschlagen der angewinkelten Arme“ die Bewegung unterstützend. Ich würde bestimmt nicht bei Havarie oder Luftangriff so herumlaufen. Ich war doch nicht bei der Armee.
 
Die Schutzausbildung schien dagegen sinnvoll. „Verhalten in Gefahrensituationen“ und „Retten und Bergen von Menschen“ waren sicher wichtige Themen. Selbst wenn der Klassenfeind nicht angreifen, sondern „nur“ ein Feuer ausbrechen würde. Als Verhaltensregel Nummer Eins beim „Retten und Bergen von Menschen“ notierte ich in mein ZV-Heft: Das Tragen zweckmäßiger Kleidung. In der Tat erwies sich unsere Uniform als äußerst zweckdienlich. Wir bauten Behelfstragen aus Jacken und Gürteln und schleppten uns gegenseitig fröhlich gackernd umher. In unseren Heften vermerkten wir die einzelnen Handlungsschritte bis zum Eindringen in „zugängliche Schadenelemente“. So hießen zusammengebrochene Gebäude. Begriffe wie „Schwalbennest“, „Trümmerkegel“ und „versperrter Raum“ blieben dennoch für mich abstrakte Bilder aus Kriegsfilmen.
 
Um gar nicht erst unter Trümmern zu landen, beschäftigten wir uns mit der „geschützten Unterbringung“, laut Lehrbuch der „Hauptmethode des Bevölkerungsschutzes bei imperialistischen Aggressionshandlungen“. Als Schutzräume galten alle unterirdischen Keller, Hohlräume, Schachtanlagen, Tunnel und Tiefgaragen. In Gruppen sollten wir die „Grundanforderungen an einen Schutzraum“, funktionelle Gliederung, Ausstattung und Verhalten im Schutzraum diskutieren. Ich war wenig überzeugt von der Sicherheit eines solchen im Angesicht moderner Waffen und hätte auch nicht gewusst, wohin ich im Ernstfall hätte laufen sollen. Die Theorie war ausgefeilt. Die Praxis wohl eher ein Chaos.
 
Auf einen Angriff mussten wir jeder Zeit vorbereitet sein. Ein Klingeln, und wir waren in Alarmbereitschaft, so die Vorstellung der Lehrbuchautoren, die hilfsbereit die unterschiedlichen „Sirenensignale zur Warnung und Alarmierung“ graphisch dargestellt hatten. Das Unterscheiden war schwierig. Kurz, lang, lang oder kurz, kurz, lang, lang. War das jetzt Feueralarm, Katastrophenalarm, Luftalarm, chemischer Alarm, gefahrdrohende Situation oder Entwarnung? Oder rief die Schulklingel zur Hofpause? Bei Angriff krochen wir unter unsere Tische im Klassenraum, bei Entwarnung wieder heraus. Unsere Schule hatte keinen Schutzraum. Die Tische erschienen mir jedoch wenig wirkungsvoll im Falle eines Luftangriffs.
 
Unser Ausbilder beruhigte uns: „Zum Schutz der Atemwege vor gesundheitsschädigenden Stoffen tragen wir zusätzlich eine Maske.“ Aha. „Die können wir uns jederzeit selbst herstellen. Das erforderliche filtrierende Material ist in jedem Haushalt vorhanden.“ Ich war gespannt. Aus den Nylonstrumpfhosen unserer Mütter (den kaputten, versteht sich, heile waren wertvoll und meist aus dem Westen) bastelten wir Strumpfmasken. Deren Anfertigung war mit präzisen Abbildungen im Lehrbuch beschrieben. Sechs Lagen Zellstoff wurden zu einem Zellstoffpäckchen gefaltet und „so in einen Damenstrumpf eingelegt, dass es weder Falten schlägt noch zerknittert wird“. Der Strumpf wurde sodann zu beiden Seiten des Päckchens verknotet, die fertige Maske über Mund und Nase gelegt und mit den Enden des Strumpfes hinter dem Kopf zusammengebunden. Passt!
 
 
Vorsorglich weist das Buch darauf hin, nur durch den Mund zu atmen und zusätzlich eine Schutzbrille zu tragen. Außerdem würden diese Atemschutzmittel nur vor Mikroben und radioaktivem Staub schützen. Na toll. Dann konnte uns ja nichts mehr passieren, spotteten wir. Wer fürchtete sich den schon vor ionisierender Strahlung? Das Tragen der Strumpfmaske fanden wir peinlich und ein bisschen unangenehm. Zum Glück mussten wir die Masken nur zur Anprobe im Klassenraum umbinden. Den Jungs blieb die Anfertigung von Strumpfmasken erspart. Sie übten mit echten Bevölkerungsschutzmasken.
 
Um Gefahrensituationen möglichst frühzeitig zu erkennen, übten wir Beobachten und Melden, also: viel sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Das klang wie bei Winnetou auf dem Kriegspfad. In den Doberaner Wiesen tat sich jedoch wenig. Also wählten wir eine befahrene Kreuzung in Stadtmitte. Zu zweit saßen Jugendfreundin Susemihl und Jugendfreundin Holtz am Karl-Marx-Platz, beobachteten die Straße und legten eine Beobachtungstabelle an: „8.32 Uhr: reger Verkehr; 8.44 Uhr: SMH-Wagen (Schnelle Medizinische Hilfe) aus Richtung Kröpelin; 8.50 Uhr: bepflasterter Trabant; 8.53 Uhr: VW rot, Renault rot; 9.02 Uhr: Herr Ahrens (unser stellvertretender Schuldirektor) wackelt im Trabant mit Zeigefinger.“ Der Verkehr war damals bedeutend ruhiger und jedes auffällige Auto wurde mangels anderer Vorkommnisse schriftlich festgehalten. Nach zwei Stunden erstatteten wir unserem Ausbilder vorschriftsmäßig Meldung.
 
Auf das nächste Thema unserer Ausbildung, „Selbst- und gegenseitige Hilfe“, freuten wir uns, denn das Erlernen von Maßnahmen der Ersten Hilfe war vor allem nützlich, wenn man seine Moped-Fahrerlaubnis machen wollte. Ich hatte die Moped-Prüfung mitsamt obligatorischem Erste-Hilfe-Kurs bereits in der achten Klasse absolviert. Ich kannte die Themen. Ich kannte die Fotos. Auf dem Spielplatz der Erstklässler legten wir uns gegenseitig in die stabile Seitenlage oder die Beine nach oben. Schocklagerung. An einem Übungsphantom übten wir äußere Herzmassage und Atemspende. Unser Ausbilder zeigte uns Lichtbilder mit Schnittwunden, Verbrennungen, Verätzungen, Vergiftungen und sonstigen Verletzungen. Jana konnte kein Blut sehen und plumpste vom Stuhl. Wir lagerten ihre Beine hoch. Wir übten das Anlegen von Druckverbänden, Blutsperren, Maßnahmen bei Knochenbrüchen und die Aufnahme eines Wirbelsäulengeschädigten. Zur Abschlussprüfung wurden Freiwillige mit Theaterblut präpariert. Durch gezieltes Fragen oder Abtasten und gespielte Aufschreie der „Verletzten“ sollten wir ihre Schädigung herausfinden und entsprechend versorgen. Jana simulierte eine Verbrennung dritten Grades und kicherte, als wir sie mühsam auf die Trage zerrten und abtransportierten.
 
Die Geländeausbildung machte mir am meisten Spaß. Ich fühlte mich wie eine Pfadfinderin. Wir lernten viele brauchbare Fakten: Moos wächst an der Wetterseite von Bäumen, die Jahresringe von Baumstümpfen liegen auf der Nordwestseite am dichtesten, Ameisen bauen ihre Hügel an der Südwestseite von Bäumen und alte Kirchen stehen mit dem Turm nach Westen und dem Schiff nach Osten. Wir schätzten Entfernungen nach Erkennbarkeit charakteristischer Umrisse und erfuhren, dass Kirchen ab 15.000 Metern und Fabrikschornsteine ab 6.000 Metern erkennbar seien. Und wir bestimmten Himmelsrichtungen und Marschrichtungszahlen mit dem Marschkompass. Das Messen von Entfernungen (E) mit Hilfe des Schrittmaßes (SM) erforderte mathematisches Geschick. Nachdem zuerst das persönliche Schrittmaß ermittelt wird – aus der Errechnung des arithmetischen Mittels mehrerer Werte der für eine abgeschrittene 100-Meter-Strecke benötigten Anzahl von Doppelschritten (DS) – wird nach der Formel E ist gleich DS mal 100 durch SM die Entfernung in Metern errechnet. Klingt kompliziert. Ist es auch. Daher schätzten wir Pi mal Daumen.
 
Derart lebenswichtige Kompetenzen für das Orientieren im Gelände konnten sich in den unterschiedlichsten Situationen als hilfreich erweisen. Wie zum Beispiel auf meinen Reisen in den hohen Norden des amerikanischen Kontinents. Dumm nur, dass in den Nationalparks Alaskas und Kanadas weder Fabrikschornsteine noch Kirchen zu finden waren. Aber immerhin konnte ich mich noch Jahre nach meiner Geländeausbildung in der subarktischen Wildnis mittels topographischer Karten orientieren. Das hatte ich gelernt. Ebenso wie das Zeichnen von Geländeskizzen. Mein ZV-Heft beinhaltet Ansichts- und Grundrissskizzen der Doberaner Wiesen, angefertigt am 24. Juni 1988 um acht Uhr. Eingezeichnet sind Wasserwerk, Hilfsschule und Gartenanlagen als Quadrate, Bäche als krumme Linien und Bäume als verkorkste Omega-Zeichen. Im Doberaner Mischwald bauten wir auch Zweighütten und Windschutze als behelfsmäßige Unterkünfte. Rüdiger Nehberg hätte an unserem Survival-Training seine wahre Freude gehabt.
 
Unser Lehrbuch führte uns bei allem Spaß unwillkürlich den vermeintlichen Ernst der Lage wieder vor Augen: „Die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Hilfeleistung setzen voraus, dass sich die Hilfskräfte im Gelände zweckmäßig bewegen, sicher orientieren und richtig verhalten.“ Warum? Um unter allen Bedingungen, bei Tag, Nacht oder Wirkung gegnerischer Waffen, schnell und sicher zum Einsatzort zu gelangen. Auch ohne Einsatzort bewegten wir uns mittels aufrechtem oder gebücktem Gehen, Kriechen, Gleiten oder kurzen und langen Sprüngen grazil und lautlos wie die Indianer im Gelände. „Jugendfreundin Susemihl! Bis zum Waldrand gleiten – vorwärts!“ Ich warf mich auf den Boden, presste mich ins Gras, wobei mein Kinn knapp den Boden berührte, Blick nach vorn, und robbte vorwärts. Zum Glück nur wenige Meter. Ich war kein Freund dieser Übungen.
 
Den Abschluss der ZV-Ausbildung bildeten die „Tage der Wehrbereitschaft“. Jetzt durften wir unser erlerntes Wissen zur Anwendung bringen. Gemeinsam mit den Jungen, die aus dem Wehrlager zurückgekehrt waren, machten wir uns auf den Abschlussmarsch. Wir sangen lauthals: „Wenn wir schreiten Seit an Seit“, liefen in Sechsergruppen und mit Laufkarte von Station zu Station, und schnatterten von unseren Erlebnissen in den Lagern. Wir hangelten über Bäche, schwangen an Seilen zurück, schossen auf Scheiben, legten einen Verletzten in die stabile Seitenlage und beatmeten einen Dummie mit Herzdruckmassage. Wir schätzen die Entfernung vom Waldrand bis zum Nachbardorf und liefen einen Kilometer mit Gasmaske, der wir zuvor das Ventil aufgedreht hatten, denn ersticken wollte niemand. Die beste Gruppe erhielt eine Torte. Wir schlugen unsere Kontrahenten um vierzig Minuten und drei Mann, die sie im Bach verloren. An den anschließenden Festschmaus erinnere ich mich nicht mehr, wir freuten uns auf die Ferien.  
 
Die ordnungsgemäße Vertiefung meiner wehrpolitischen Kenntnisse in der elften Klasse blieb mir – Gorbi sei Dank! – erspart. Das Krieg spielen hatte ein Ende, Wehrpflichtverweigerungen wurden legal. Ein Gutes hatte die Ausbildung vielleicht, vom Orientieren im Gelände mal abgesehen: Die Anekdoten unseres Sommerlehrgangs in Zivilverteidigung sorgen im Freundeskreis immer wieder für gute Unterhaltung.